Die Sorge, dass technische Neuerungen Menschen um ihren Broterwerb bringen könnten, flammt immer wieder auf – insbesondere dann, wenn Unternehmen im großen Stil neue Technologien einführen. Ähnlich sieht es aus, wenn die Konkurrenz durch billigere Arbeitskräfte aus dem Ausland einheimische Arbeitsplätze verdrängt. Die damit verbundenen Sorgen sind berechtigt, denn entsprechende Massenentlassungen hat es immer wieder gegeben. Ganze Erwerbszweige sind hierzulande mehr oder weniger verschwunden, denkt man etwa an das Druckergewerbe oder das Textilgewerbe, von Kutschern und Sattlern ganz zu schweigen. Morgen könnten es Bankangestellte, Fahrpersonal oder Übersetzer sein, für die die voranschreitende Digitalisierung leistungsstarke technische Alternativen zur Verfügung stellt.
Technischer Fortschritt zerstört und schafft Beschäftigung
Bis heute sorgt eine Studie der beiden Oxford-Forscher Frey und Osbourne aus dem Jahr 2013 für Aufsehen. Sie kommt zu dem Schluss, dass nahezu die Hälfte der Jobs in den USA von Automatisierung bedroht sei. In der öffentlichen Wahrnehmung resultiert daraus der Fehlschluss, dass die Erwerbsarbeit früher oder später gänzlich verschwunden sein wird und Maschinen und Roboter womöglich völlig autonom für die Produktion sorgen.
Massenarbeitslosigkeit und Armut seien dann die unausweichliche Folge. Damit überhaupt noch jemand die Produkte kaufen könne, müsse der Staat für ein Mindesteinkommen sorgen. Abgesehen von der Frage, woher der Staat das Geld dafür nehmen sollte, wenn seine Steuereinnahmen konsequenterweise ebenfalls deutlich zurückgehen müssten, offenbaren sich in dieser Argumentation viele weitere Widersprüche.
Der offensichtlichste Widerspruch ist die Realität. Die von Frey und Osbourne verwendeten Daten stammen aus dem Jahr 2010. Wenn die These der beiden Autoren die ganze Wahrheit erfasst haben sollte, müsste von dem angekündigten Effekt heute – also 10 Jahre später – bereits etwas zu sehen sein. Tatsache ist aber, dass die Erwerbstätigkeit in den USA von 138 Mio. im Jahr 2010 auf aktuell 159 Mio. Personen angestiegen ist. Das entspricht einem Zuwachs um 15%.
Tatsache ist, dass die Erwerbstätigkeit in den letzten zehn Jahren angestiegen ist.
In Deutschland und anderen europäischen Ländern sieht die Situation nicht viel anders aus. Griechenland ist eines der wenigen Länder Europas, in denen die Beschäftigung im gleichen Zeitraum gesunken ist. Dass dies mit der Digitalisierung zusammenhinge, die dann in Griechenland besonders rabiat voran geschritten sein müsste, wird vermutlich kaum jemand ernsthaft behaupten.
Frey und Osbourne haben sich einseitig mit dem Ausmaß des arbeitsplatzsparenden Effekts neuer Technologien beschäftigt. Ihre Methode beruht im Prinzip auf nichts anderem als einer Summierung der Automatisierungswahrscheinlichkeit pro Arbeitsplatz über alle im Jahr 2010 vorhandenen Jobs. Die resultierende Zahl der verbleibenden Arbeitsplätze muss zwangsläufig kleiner sein als die Zahl der damals vorhandenen Jobs, denn Wahrscheinlichkeiten variieren naturgemäß nur zwischen 0 und 1.
Was mit dieser Methode systematisch ausgeblendet wird, sind die Jobs, die 2010 noch gar nicht existierten, seither aber offensichtlich entstanden sind. Es kann durchaus sein, dass ein nennenswerter Teil der 2010 vorhandenen Jobs inzwischen verschwunden ist. So genau weiß das bis jetzt niemand. Selbst wenn tatsächlich Jobs verschwunden sein sollten, hieße das jedoch nur, dass der Anteil neu entstandener Jobs noch viel höher sein müsste als die 15%, die sich im Aggregat feststellen lassen.
Produktivitätszuwachs schafft neue Wohlstandschancen
Es wird leider allzu oft übersehen, dass Produktivitätsfortschritt – ganz gleich, ob durch technische Neuerungen oder durch andere Formen der Kosteneinsparung verursacht – neben dem arbeitsplatzzerstörenden auch einen arbeitsplatzschaffenden Effekt hat. Der Grund dafür: In dem Maße wie Menschen in die Lage versetzt werden, bei gleichem Einsatz mehr oder Besseres zu produzieren als vorher, werden Ressourcen frei, die für Aktivitäten genutzt werden, für die den Konsumenten bis dahin Zeit und Geld fehlten.
Produktivitätsfortschritt zerstört nicht nur Arbeitsplätze, sondern schafft auch neue.
Das ist letztlich das Geheimnis von Wachstum und Wohlstand. Wenn beispielsweise importierte Fernseher aus asiatischer Produktion nur einen Bruchteil dessen kosten, was die gleichen Fernseher aus deutscher Produktion kosten würden, gewinnen deutsche Haushalte einen Einkommensvorteil, den sie für Dinge ausgeben, die sie sich bis dahin nicht leisten konnten. Weil er die Masse der Haushalte betrifft, ist dieser Vorteil insgesamt in der Regel weitaus größer als der Einkommensverlust derjenigen, die deshalb ihren bisherigen Job verlieren. Die zusätzliche Nachfrage führt zur Entstehung neuer Jobs, die keineswegs schlechter sein müssen als die Jobs, die wegfallen.
Die eigentliche Herausforderung besteht darin, Menschen, die ihre bisherige Einkommensquelle verlieren, wirksam darin zu unterstützen, von den neu entstehenden Einkommensmöglichkeiten profitieren zu können. Wollte man stattdessen am Bestehenden festhalten, indem Billigimporte eingeschränkt und bestehende Arbeitsplätze subventioniert werden, verzichtet eine Gesellschaft auf die ansonsten möglichen Wohlstandsgewinne.
Die westlichen Industriegesellschaften sind gerade deshalb so wohlhabend, weil sie offen sind für technischen Fortschritt und globalen Wettbewerb. Die Quelle für Wachstum und Wohlstand sitzt in jedem Einzelnen von uns: Es ist menschlicher Erfindungsgeist. Je besser er zur Entfaltung gebracht wird, desto wohlhabender ist eine Gesellschaft. Digitalisierung und künstliche Intelligenz sind in dieser Hinsicht ebenso wenig eine Bedrohung wie es die zahlreichen technischen Neuerungen davor waren. Der Bedarf nach menschlicher Arbeit wird dadurch nicht weniger und Erwerbsarbeit daher auch in Zukunft die zentrale Einkommensquelle bleiben.