Anonyme Bewerbungen – eine Chance für alle?
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Gerade in der ersten Bewerbungsstufe ist
die Diskriminierung am stärksten ausgeprägt.
Sie erfolgt häufig unbewusst. »Vorbehalte
wirken sich in und nach einem persönlichen
Gespräch weniger stark auf Entscheidungen
aus als auf Grundlage von
schriftlichen Unterlagen«, sagt Ulf Rinne
vom Bonner Institut zur Zukunft der Arbeit
(IZA), der seit vielen Jahren in der empirischen
Arbeitsmarktforschung tätig ist und
sich unter anderem mit Maßnahmen zum
Abbau von Diskriminierung beschäftigt.
In den USA und Kanada ist der Verzicht
auf persönliche Angaben in vielen Unternehmen
schon lange üblich. Auch einige europäische
Länder wie Frankreich, Belgien
oder der Schweiz haben bereits positive Erfahrungen
gemacht. In Belgien wurde das
Verfahren im gesamten öffentlichen Sektor
eingeführt. Warum lehnen die meisten deutschen
Unternehmen die anonymisierte Bewerbung
immer noch ab? Dafür gibt es,
laut Rinne, vielfältige Gründe. Eine Rolle
dürfte spielen, dass vielen Unternehmen die
genaue Funktionsweise der anonymen Bewerbung
unbekannt ist und sie damit
schlichtweg noch keine Erfahrungen gesammelt
haben.
Kanning kritisiert, dass Personalverantwortliche
Entscheidungen zu sehr »aus dem
Bauch heraus« treffen. Mit den Jahren im
Beruf glaube man, ein Gefühl für den
geeigneten Mitarbeiter entwickelt zu haben.
Laut Kanning sei das ein klassischer Trugschluss,
weil ja nicht klar ist, ob unter den
Aussortierten nicht die geeigneteren Kandidaten
gewesen wären.
Aus ökonomischer Sicht profitieren Unternehmen
von anonymisierten Bewerbungsverfahren.
»In einer vielfältigen Gesellschaft
und global vernetzten Wirtschaft
zahlt sich Diversität aus«, so Rinne. Dies
sei nicht nur der Fall, weil der persönliche
Kundenkontakt heute wichtiger denn je
sei, »sondern auch, weil Vielfalt in der Belegschaft
die Kreativität, die Innovationskraft
und die Wettbewerbsfähigkeit einer
Organisation erhöht«, ist der Fachmann
überzeugt.
Wer überlegt, Bewerbungen künftig zu
anonymisieren, muss die gängigen Prozesse
nicht abrupt abschaffen. Es bietet sich an,
das Verfahren zunächst bei einzelnen Stellenausschreibungen
zu testen. »In unseren
Untersuchungen hat sich der Einsatz von
standardisierten Bewerbungsformularen als
praktikable Methode der Anonymisierung
erwiesen«, sagt Rinne. Damit bestehe zwar
das Risiko, dass durch den für den Interessenten
etwas aufwendigeren Prozess einzelne
Kandidaten abspringen, insgesamt
steige aber die Qualität der eingehenden Bewerbungen.
Eine gezielte Förderung von unterrepräsentierten
Gruppen ist übrigens trotz anonymisierten
Bewerbungsverfahrens möglich
– nach der Erstauswahl im zweiten
Schritt. Ohnehin stellt die anonyme Bewerbung
nur einen Aspekt des Diversity-Managements
dar. Zwar wird damit die Benachteiligung
einzelner Gruppen in einer wichtigen
Phase verringert. Ungleichbehandlungen,
zum Beispiel bei Beförderungen oder
im Bildungsbereich, lassen sich damit aber
nicht verhindern.
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