Die Wirtschaftswissenschaften stehen seit Jahren in der Kritik: Zu einseitig, zu dogmatisch, zu abgehoben von der Realität. Spätestens seit der Finanzkrise 2008 fordern Studenten, Wissenschaftler und Politiker mehr Pluralismus in der ökonomischen Lehre. Statt nur neoklassische Theorien zu vermitteln, sollten Universitäten auch alternative Denkschulen wie die Verhaltensökonomie, ökologische Ökonomie oder feministische Ansätze lehren. Doch wie tief verwurzelt ist die Fixierung auf den Mainstream tatsächlich?
Ein IZA-Forschungspapier von Mohsen Javdani und Ha-Joon Chang deckt auf, wie stark ideologische Vorurteile das Denken im VWL-Studium prägen. Die Forscher befragten 2.735 Studierende aus zehn Ländern in einem großangelegten Online-Experiment.
Das überraschende Ergebnis: Obwohl 67 Prozent der Studenten behaupten, Argumente nur nach ihrem Inhalt zu bewerten, zeigt ihr Verhalten das Gegenteil. Sobald dieselbe Aussage einer nicht-etablierten statt einer Mainstream-Quelle zugeschrieben wird, sinkt die Zustimmung dramatisch.
Doktoranden sind am stärksten voreingenommen
Besonders brisant: Je weiter fortgeschritten das Studium, desto größer die Vorurteile. Doktoranden zeigen mehr als doppelt so starke Voreingenommenheit gegen alternative Wirtschaftstheorien wie Bachelor- oder Masterstudenten. Paradoxerweise behaupten gleichzeitig 76 Prozent der Promovierenden, besonders kritisch und unabhängig zu denken – mehr als alle anderen Studiengruppen.
Die politische Einstellung verstärkt diese Effekte zusätzlich. Rechtsorientierte Studenten lehnen abweichende Meinungen häufiger ab, selbst wenn diese aus dem Mainstream stammen. Bei männlichen Studenten sind die Reaktionen auf Quellenwechsel um 62 Prozent stärker ausgeprägt als bei weiblichen.
Extreme Unterschiede bei Doktoranden
Am deutlichsten zeigen sich die Verzerrungen bei Doktoranden mit unterschiedlichen politischen Ansichten: Während die Zustimmung bei linksorientierten Promovierenden um 18,6 Prozent sinkt, wenn eine Aussage einer alternativen Quelle zugeschrieben wird, beträgt der Rückgang bei rechtsorientierten Doktoranden satte 64 Prozent.
Ruf nach Reformen
Die Autoren sehen dringenden Reformbedarf in der Wirtschaftsausbildung. „Die Befunde zeigen, wie das starre Diskursverhalten der Ökonomie Studierende in eine bestimmte Denkweise sozialisiert“, warnen sie. Statt Objektivität zu fördern, verstärke das System institutionelle Machtstrukturen.
Die Forscher fordern einen pluralistischeren Ansatz, der verschiedene Wirtschaftstheorien – von institutioneller über feministische bis hin zu ökologischer Ökonomie – gleichberechtigt vermittelt. Nur so könnten Studenten lernen, wirtschaftliche Fragen kritisch und unabhängig zu durchdenken, statt blindlings dem herrschenden Paradigma zu folgen.