In Deutschland müssen Arbeitnehmer spätestens ab dem dritten Krankheitstag ein ärztliches Attest vorlegen. Zuständig für die Überprüfung und Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit ist der behandelnde Arzt, der zugleich mit der Betreuung der Patienten seinen Lebensunterhalt verdient. Dass sich aus dieser Doppelfunktion Widersprüche im Hinblick auf ökonomische Anreize ergeben können, ist offenkundig.
Denn bei freier Arztwahl liegt es einerseits nahe, dass sich Arbeitnehmer tendenziell für Ärzte entscheiden, die dem Vernehmen nach großzügiger krankschreiben. Umgekehrt unterliegen Ärzte der Versuchung, dies bei ihrem Bemühen um die Gewinnung neuer Patienten einzukalkulieren.
Ob sich dieser Effekt in der Praxis nachweisen lässt, untersuchen Knut Røed und Simen Markussen (Ragnar Frisch Centre for Economic Research, Oslo) in einem aktuellen IZA Discussion Paper am Beispiel Norwegens. Die Ökonomen kombinierten verschiedene Datensätze und berechneten für einzelne Ärzte einen „Großzügigkeitsindikator“ in Bezug auf Krankschreibungen. Die Analyse ergab, dass sich Patienten, die etwa nach einem Umzug einen neuen Arzt suchten, tatsächlich häufiger für freizügig krankschreibende Ärzte entschieden.
Großzügige Krankschreibungen bringen neue Patienten
Zudem stellten die Forscher einen Zusammenhang zwischen der Großzügigkeit der Ärzte und dem Wettbewerbsdruck fest. Je weniger Patienten ein Arzt hatte, desto freigiebiger zeigte er sich beim Krankschreiben. Aufgrund der Größe Norwegens herrscht auf dem dortigen Ärztemarkt jedoch ein relativ geringer Konkurrenzdruck. Daher gehen die Forscher davon aus, dass sich wirtschaftlich orientiertes Krankschreiben in dichter besiedelten Ländern wie Deutschland noch deutlicher zeigen würde.
Der Bedarf an Krankschreibungen ist in Deutschland jedenfalls hoch. Laut einer Studie von Medizinern der Universität Magdeburg kommen die Deutschen auf einen internationalen Spitzenwert von durchschnittlich 17,1 Arztkontakten pro Jahr, während Norweger im Schnitt nur fünf Mal im Jahr zum Arzt gehen. Vorstöße zur Lockerung der Attestpflicht finden jedoch in Politik und Wirtschaft wenig Unterstützung.