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IZA Newsroom

IZA – Institute of Labor Economics

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Wie Internet-Suchergebnisse gegen Stau helfen können

December 2, 2015 by admin

Die Staus auf deutschen Autobahnen nehmen weiter zu. Im Jahr 2014 registrierte der ADAC rund 475.000 Staus mit einer Gesamtlänge von 960.000 Kilometern. Zu den Folgen zählen (neben gestressten Autofahrern) erhöhte CO2-Emissionen, zusätzliche Transport- und Produktionskosten, vergeudete Arbeitszeit sowie Lieferverzögerungen. INVENT schätzt den wirtschaftlichen Schaden auf etwa 250 Millionen Euro pro Tag.

Da Staus aus einem komplexen Zusammenspiel verschiedener Faktoren entstehen, sind Verkehrsprognosen methodisch anspruchsvoll. In einem aktuellen IZA Discussion Paper stellt Nikos Askitas eine elegante und zugleich simple Methode vor, mit der zu erwartende Verkehrsbelastungen erfasst werden können, noch bevor sich der Stau bildet. Der Big-Data-Experte nutzt dabei aus, dass sich viele Autofahrer vor ihrer Fahrt online über die Verkehrssituation informieren – und somit ihre geplante Route teilweise offenlegen.

Seine Ergebnisse zeigen, dass sich allein auf Basis der allgemein zugänglichen Google-Suchstatistiken rund 80% der Variation in den ADAC-Staumeldungen zwei Stunden vorab vorhersagen lassen. So führt ein einprozentiger Anstieg der Suchhäufigkeit nach dem Begriff „Stau“ zwei Stunden später zu einem Anstieg der Staumeldungen um 0,4 Prozent.

Anhand der Google-Suchanfragen um 7:00 und 16:00 Uhr lässt sich also (unter Berücksichtigung des Wochentags und anderer Faktoren) relativ gut ablesen, wie schlimm die Rush Hour um 9:00 bzw. 18:00 Uhr wird. Geografische Informationen wie Autobahnnummern und Städtenamen in den Suchanfragen verbessern die Qualität der Vorhersagen zusätzlich.

Askitas empfiehlt Verkehrsplanern daher, Google-Suchstatistiken bei der Entwicklung von Modellen für Verkehrsprognosen und Stauprävention stärker mit einzubeziehen. Die Treffsicherheit ließe sich durch präzisere Zieldaten, etwa durch GPS-Informationen zu den Nutzern von Suchmaschinen, weiter steigern.

Bildquelle: pixabay

Filed Under: Research Tagged With: congestion, forecasting, google, internet search, traffic jams, traffic planning

„Weg vom Kuchendenken, hin zur präventiven Arbeitsmarktpolitik”

November 30, 2015 by admin

Alexander Spermann

„Die Arbeitsmarktpolitik hat immer noch nicht von der „Kuchentheorie“ des Arbeitsmarktes Abschied genommen“, sagte Arbeitsmarktpolitikdirektor Alexander Spermann (IZA) im Rahmen der IZA-Konferenz „Welche Arbeitsmarktpolitik braucht Deutschland?“ in Berlin.

Aus dieser Logik heraus sind Ältere in den Vorruhestand (sie nehmen den Jungen die Arbeitsplätze weg) und Frauen an den Herd geschickt worden (sie nehmen Männern die Jobs weg). Migranten sollten vor der Tür bleiben (sie nehmen Inländern die Stellen weg). Die Rente mit 63, das Betreuungsgeld und die Vorrangprüfung bei der Beschäftigung von Nicht-EU-Bürgern seien Ausdruck dieses Kuchendenkens, so Spermann.

Der Kuchen kann größer werden

Dabei hat sich in den letzten 15 Jahren empirisch gezeigt, dass sowohl die Beschäftigung zunehmen als auch die Arbeitslosigkeit abnehmen kann, zumindest in Deutschland: Die Beschäftigungsquoten von älteren Erwerbstätigen und von Frauen sind gestiegen – und es ist im OECD-Vergleich noch Luft nach oben. Im letzten Jahr erreichte auch die Nettozuwanderung einen Rekordwert. Anders formuliert: Der Kuchen kann größer werden, betonte Spermann.

Der gesetzliche Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro je Stunde kann jedoch die Beschäftigungschancen von gering Qualifizierten zerstören – wenn nicht heute, dann morgen. Die Politik hat auf diese Sorgen von Arbeitsmarktökonomen reagiert: Ausnahmen für Praktika, eine zweijährige Übergangsphase und die gesetzliche Verpflichtung zur Evaluation sind in das Gesetz aufgenommen worden. „Das Mahnen der Ökonomen hatte durchaus Konsequenzen bei der Ausgestaltung des Mindestlohngesetzes“, meinte Spermann.

Flüchtlinge integrieren ohne Ausnahmen vom Mindestlohn

Aber es gibt auch Lichtblicke: Vor einem Jahr wurde das Arbeitsverbot für Asylbewerber von neun auf drei Monate verkürzt – und damit entstand überhaupt erst die Voraussetzung, um über die schnelle Integration von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt nachzudenken.

Eine Ausnahme vom gesetzlichen Mindestlohn für Flüchtlinge sei jedoch nicht zielführend. Zum einen wird die bestehende Ausnahme für Langzeitarbeitslose derzeit kaum genutzt, vermutlich, weil Unternehmen nicht als unfaire Arbeitgeber wahrgenommen werden wollen. Zum anderen existieren bereits Ausnahmen vom Mindestlohn für Orientierungspraktika bis zu drei Monaten und Langzeitpraktika bis zu einem Jahr im Rahmen der Einstiegsqualifizierung, wie Spermann gegenüber dem SPIEGEL (Ausgabe Nr. 49/2015, 28.11.2015) betonte. Zum dritten können Unternehmen zeitlich befristete Eingliederungszuschüsse bei der Einstellung von Flüchtlingen mit Vermittlungshemmnissen beantragen, um Produktivitätsnachteile auszugleichen.

Vorsorge ist besser als Nachsorge

Die passive Arbeitsmarktpolitik hilft erst, wenn der Schaden bereits eingetreten ist: Arbeitslosengeld gibt es bei Arbeitslosigkeit, Leistungen der Grundsicherung (Hartz IV) gibt es bei Langzeitarbeitslosigkeit bzw. bei Bedürftigkeit. Die aktive Arbeitsmarktpolitik setzt in der Regel erst ein, wenn Anspruch auf Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II und/oder III besteht. Präventionselemente wie die Weiterbildung von Erwerbstätigen stehen zwar teilweise zur Verfügung, doch sind sie die berühmten Tropfen auf den heißen Stein

Arbeitsmarktpolitik reagiert in der Regel zu spät. Präventive Arbeitsmarktpolitik setzt früher an und ist eng mit Bildungspolitik verknüpft. Präventive Arbeitsmarktpolitik ist keine Privatsache, aber auch nicht ausschließliche Sache des Staates. Auch die Tarifparteien und die Zivilgesellschaft müssen mit ins Boot.

Lebenslanges Lernen beginnt mit der Geburt

Als Kernelement einer präventiven Arbeitsmarktpolitik schlug Spermann ein Weiterbildungsgeld vor (siehe auch Süddeutsche Zeitung, 26.11.2015). Es soll für alle Neugeborenen zusammen mit dem Kindergeld ausgezahlt werden, 10 Euro je Monat betragen und mit einer jährlichen Nachweispflicht bei der Steuererklärung bzw. beim Leistungsbezug verbunden sein. Die fiskalischen Kosten 2016 würden unter 50 Millionen Euro liegen.

Mit dem Weiterbildungsgeld ist die Botschaft verbunden: „Lifelong learning“ beginnt mit der Geburt. Die Mittel dürfen frei für Bildung/Weiterbildung verwendet werden (z.B. Kinderbücher). Bei Nichtverwendung reduziert sich die Kindergeldauszahlung im Folgejahr um 10 Euro je Monat. „Das Weiterbildungsgeld ist kein Allheilmittel, sondern ein klares Signal für die Notwendigkeit, ein Leben lang zu lernen“, meinte Spermann.

Filed Under: Opinion

Geschlechteridentitäten beeinflussen Arbeitsangebot von Frauen in Westdeutschland

November 25, 2015 by admin

Ungleiche Bezahlung von Männern und Frauen für die gleiche Arbeit bleibt ein in vielen Ländern verbreitetes Phänomen. Trotz mancher Fortschritte ist es bislang auch in Deutschland nicht gelungen, die Lohnlücke zu schließen. Auf der Suche nach den Gründen für bislang unerklärte Lohnunterschiede zwischen den Geschlechtern haben sich Ökonomen zuletzt vermehrt der Rolle sozialer Normen bei der Arbeitsangebotsentscheidung von Frauen gewidmet.

So belegte eine viel beachtete, von IZA-Fellow Marianne Bertrand (Universität Chicago) mitverfasste Studie den Einfluss klassischer Rollenverteilungen und daraus resultierender Geschlechteridentitäten in den USA: Übersteigt das erzielbare Einkommen der Frau das ihres Partners, reduziert sie im Durchschnitt ihr Arbeitsangebot und verzichtet somit freiwillig auf Einkommen, um die „soziale Norm“ des männlichen Hauptverdieners nicht zu verletzen.

Diesen Zusammenhang weisen Anna Wieber und Elke Holst (DIW Berlin) in ihrem aktuellen IZA-Diskussionspapier nun zumindest teilweise auch für Deutschland nach. Den Hypothesen folgend würden Frauen, die ein höheres Einkommenspotenzial als ihr Partner haben, unter ihren Verdienstmöglichkeiten bleiben und ihre Tätigkeit im Haushalt verstärken, wenn sie tatsächlich ein höheres Einkommen erzielen. Die Studie bestätigt, dass zumindest in Westdeutschland die traditionelle Rollenverteilung einen Einfluss auf Verdienste von Vollzeit beschäftigten Frauen hat.

Die Analyse basiert auf Einkommensdaten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) in Ost- und Westdeutschland. Anhand dieser Daten berechnen die Autorinnen den Anteil der Ehefrau am gemeinsamen Verdienst. Die folgende Grafik zeigt die Einkommensverteilung innerhalb westdeutscher Haushalte.

Einkommensverteilung innerhalb westdeutscher Haushalte

Auffällig ist der scharfe Bruch in der Häufigkeitsverteilung um die rote Linie bei 50%. Die starke Abnahme der Häufigkeit rechts von der 50%-Marke spricht dafür, dass Frauen mit höherem Einkommenspotenzial geringere Verdienst in Kauf nehmen, um der traditionellen Geschlechterrolle zu entsprechen.

Insgesamt zeigt sich nur bei rund 11 Prozent aller westdeutschen Paare, dass die Frau mehr verdient als ihr Mann. In Ostdeutschland, wo die Vollzeitbeschäftigung beider Geschlechter in Zeiten des Sozialismus das Familienideal darstellte, ist dieses Muster deutlich geringer ausgeprägt: Hier tragen rund 27 Prozent der Frauen den größeren Teil zum Haushaltseinkommen bei.

Die Studie wird in einem weiteren aktuellen IZA Discussion Paper (No. 9533) zitiert, das den gleichen Zusammenhang für Schweden untersucht, allerdings keine Hinweise darauf findet, dass Geschlechteridentitäten bei der Einkommensverteilung in schwedischen Haushalten eine Rolle spielen:

  • Gender Identity and Relative Income within Households: Evidence from Sweden
Bildquellen: pixabay, IZA DP No. 9471

Filed Under: Research

Flüchtlinge zügig in den Arbeitsmarkt integrieren, aber nicht auf Kosten von Langzeitarbeitslosen

November 20, 2015 by admin

Die Integration von Flüchtlingen in den deutschen Arbeitsmarkt erfordert massive Investitionen insbesondere im Bildungsbereich. Zugleich bietet die aktuelle Krise die Chance, überholte Arbeitsmarktregeln zu reformieren. Wenn Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft an einem Strang ziehen, können davon nicht nur Flüchtlinge, sondern auch Langzeitarbeitslose und junge Menschen ohne Berufsausbildung profitieren, meint Alexander Spermann.

Der Arbeitsmarktpolitik-Direktor am IZA wies im Rahmen einer Infoveranstaltung der IHK Dortmund darauf hin, dass frühere Generationen von Einwanderern und Flüchtlingen in der Bundesrepublik bereits diverse fehlgeleitete Maßnahmen – vom fünfjährigen Arbeitsverbot bis hin zur Unterbringung in Sammellagern – erlebt hätten.

„In Deutschland kommen wir aus einer Welt der bewussten Ausgrenzung von Flüchtlingen vom Arbeitsmarkt“, machte Spermann deutlich. Erst seit einem Jahr könne rein rechtlich über eine schnelle Arbeitsmarktintegration nachgedacht werden, nachdem das Arbeitsverbot von neun auf drei Monate verkürzt wurde. Nun sei es an der Zeit, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen: „Schnelle Arbeitsmarktintegration ist das Gebot der Stunde und erfordert Milliardeninvestitionen.“

Frühes Profiling, Sprachkurse und Online-Lernen

Um den Arbeitsmarktzugang für Flüchtlingen zu erleichtern, sollten die drei Monate des Arbeitsverbots mit schnellem Profiling und Kompetenzdokumentation der Flüchtlinge sowie mit Präsenzsprachkursen und Online-Lernen effektiv genutzt werden. Als wichtigen ersten Schritt für die Arbeitsmarktintegration finanziert die Bundesagentur für Arbeit noch in diesem Jahr Präsenzsprachkurse für 100.000 Flüchtlinge.

Für Spermann steht außer Frage, dass massiv in die Aus- und Weiterbildung der Flüchtlinge investiert werden müsse, zumal nur ein Bruchteil von ihnen hinreichend qualifiziert sei, um dem Arbeitsmarkt unmittelbar zur Verfügung zu stehen. Spermann: „Der deutsch sprechende syrische Arzt, der auf dem Land sofort als Hausarzt einsetzbar ist, wird eine Ausnahme sein.“

Langzeitarbeitslose nicht vernachlässigen

Im Zuge dieser notwendigen Investitionen müssten aber auch die rund eine Million Langzeitarbeitslosen und die etwa 1,5 Millionen jungen Menschen ohne Berufsausbildung mitgenommen werden. Solange die Flüchtlingskrise Chefsache in der Politik und Topthema in den Medien sei, müsse dieses „Window of Opportunity“ genutzt werden, um anachronistische Arbeitsmarktregeln zu reformieren. Als Beispiel nannte Spermann die Abschaffung des Verbots der Beschäftigung von gering qualifizierten Asylbewerbern in der Zeitarbeit in den ersten 15 Monaten.

Damit die Integration der Flüchtlinge gelinge, sei aber die gesamte Gesellschaft gefragt. Mut mache hier die deutsche Willkommenskultur, die insbesondere wegen des Engagements von Ehrenamtlichen international als vorbildlich gilt. „Nun muss sich aus dieser Willkommenskultur aber eine Integrationskultur entwickeln, und hier dürfen Politik und Wirtschaft die Zivilgesellschaft nicht im Stich lassen.“

In die Fachkräfte von übermorgen investieren

Um die Fachkräfte von übermorgen zu fördern und gleichzeitig dem demografischen Wandel zu begegnen, müssten sowohl die Unternehmen als auch der Staat gezielt in die Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen, Langzeitarbeitslosen und Menschen ohne Ausbildung investieren. Die Politik müsse auch bereit sein, dafür viel Geld in die Hand zu nehmen. Denn wenn die Arbeitsmarktintegration scheitert, würde dies nicht nur gesellschaftspolitisch gefährlich, sondern auch fiskalisch teuer, warnte Spermann.

Lesen Sie auch das Interview mit Alexander Spermann im IHK-Magazin Ruhr Wirtschaft:
– „Hilfe ist ein längerer Prozess!“

Filed Under: Opinion

Früherer Renteneintritt für belastete Berufsgruppen?

November 17, 2015 by admin

Demografischer Wandel und steigende Lebenserwartung machen in vielen Industrienationen eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit unausweichlich, will man die Tragfähigkeit des Rentensystems nicht aufs Spiel setzen. Mit jeder Anhebung des gesetzlichen Renteneintrittsalters werden jedoch Forderungen nach Ausnahmen für besonders belastete Berufsgruppen wie den viel zitierten „Dachdecker“ laut. Das war auch in den Niederlanden so, als dort 2012 die Rente mit 67 beschlossen wurde.

Wie aber lassen sich entsprechende Ausnahmen sinnvoll definieren, und wie steht es mit der Bereitschaft der Allgemeinheit, den früheren Renteneintritt bestimmter Berufsgruppen aus Steuermitteln zu finanzieren? Diesen Fragen geht ein aktuelles IZA-Diskussionspapier der niederländischen Ökonomen Niels Vermeer, Mauro Mastrogiacomo und Arthur van Soest nach. Sie verwendeten Daten des CentERpanel, das im Jahr 2012 rund 1.800 Niederländer nach den Kriterien für „belastete“ Berufe, dem als angemessen empfundenen Renteneintrittsalter sowie der persönlichen Bereitschaft zur Finanzierung von Vorruhestandsregelungen befragt hat.

Die Ergebnisse zeigen, dass in der öffentlichen Wahrnehmung fast ausschließlich körperlich anstrengende Tätigkeiten etwa im Baugewerbe als belastend gelten, während psychische Belastung und andere Stressfaktoren in der Bewertung kaum eine Rolle spielen. So wird beispielsweise der Lehrerberuf als vergleichsweise wenig belastend wahrgenommen, und auch Krankenschwestern oder Feuerwehrleute landen nur im oberen Mittelfeld.

Zudem mussten die Befragten angeben, welchen Berufsgruppen es nach ihrer Meinung ermöglicht werden sollte, früher in Rente zu gehen. Büroangestellten wurde dabei das höchste Rentenalter zugemutet, während ein relativ hoher Anteil der Befragten bei Feuerwehrleuten und Bauarbeitern einen Renteneintritt bereits mit 60 bzw. 61 Jahren für vertretbar hielt (siehe Abbildung).

Ergebnis einer Befragung von 1.840 Niederländern. Quelle: IZA DP No. 9462, S. 11

Entsprechend verhält sich auch die Bereitschaft, Vorruhestandsregelungen für einzelne Berufsgruppen über Steuergelder mitzutragen. Für Bauarbeiter und Feuerwehrleute würden die Befragten am ehesten einen Beitrag leisten, für Büroangestellte und Lehrer am wenigsten – und zwar unabhängig davon, welcher Berufsgruppe sie selbst angehören.

Die niederländische Regierung kam zu dem Schluss, dass berufsgruppenbezogene Ausnahmen vom gesetzlichen Renteneintrittsalter nicht praktikabel seien. Unabhängig von der Definitionsfrage senken Ausnahmeregelungen die Anreize für Arbeitgeber, in neue Technologien für altersgerechte Arbeitsplätze zu investieren, und für Arbeitnehmer, mit steigendem Alter in Tätigkeiten mit geringerer Belastung zu wechseln.

Nach Einschätzung der Autoren macht es jedoch Sinn, das frühestmögliche Renteneintrittsalter an die Anzahl der geleisteten Arbeitsjahre (unter Berücksichtigung von Arbeitslosigkeit, Arbeitsunfähigkeit und Erziehungszeiten) zu koppeln, wie es etwa Deutschland mit der abschlagsfreien Rente ab 63 nach 45 Beitragsjahren geregelt hat. Davon würden Arbeitnehmer in körperlich anspruchsvollen Berufen tendenziell profitieren, da sie aufgrund kürzerer Ausbildungszeiten meist früher ins Erwerbsleben eintreten als etwa Akademiker.

Bildquelle: pixabay und IZA DP No. 9462

Filed Under: Research Tagged With: early retirement, Netherlands, pension, pension schemes, physically demanding jobs, population aging, retirement, statutory retirement age

Korruption fördert Abwanderung Hochqualifizierter ins Ausland

November 10, 2015 by admin

Dass persönliche Erfahrungen mit Korruption nicht nur frustrierend sind und Arbeitsmotivation wie Steuermoral beeinträchtigen, sondern auch die Auswanderungsbereitschaft steigern, zeigt ein aktueller Beitrag von Friedrich Schneider (JKU Linz und IZA) für IZA World of Labor.

Korruption schreckt Arbeitnehmer aller Bildungsschichten ab und veranlasst sie in letzter Konsequenz dazu, im Ausland nach Arbeit zu suchen. Jedoch hat der Grad an Korruption unterschiedliche Auswirkungen auf einzelne Gruppen von Arbeitnehmern. Bei Arbeitskräften mit geringer oder mittlerer Qualifikation steigt die Auswanderungsbereitschaft zwar zunächst mit wachsender Korruption, geht jedoch ab einem gewissen Korruptionsniveau wieder zurück.

Internationale Forschungsergebnisse zeigen, dass sich dieses Phänomen mit der steigenden Einkommensungleichheit in korrupten Ländern erklären lässt. Da in stark korrupten Staaten die Einkommen der Mittel- und Niedrigqualifizierten oft massiv gesunken sind, verfügen sie schlicht nicht mehr über die finanziellen Mittel, um auswandern zu können.

Im hochqualifizierten Bereich stellen Studien hingegen eine lineare Entwicklung fest. Steigt die Korruption, kommt es zu mehr Auswanderung, was wiederum eine Kette von Negativfolgen nach sich zieht: Der zunehmende Fachkräftemangel bremst das Wirtschaftswachstum, was zu steigender Arbeitslosigkeit führt, die wiederum die Auswanderungsbereitschaft befördert. Darüber hinaus führt Korruption dazu, dass öffentliche Ausgaben von Gesundheit und Bildung auf andere weniger transparente Bereiche wie Verteidigung verlagert werden, was Niedrigqualifizierte oftmals zusätzlich benachteiligt und sie zum Auswandern ermutigt.

Mit mehr Transparenz und Partizipation gegen den Brain Drain

Mit Blick auf diese negativen Auswirkungen sollten Regierungen, insbesondere in den stark von „Brain Drain“ betroffenen Entwicklungsländern, verstärkt auf Maßnahmen zur Bekämpfung von Korruption setzen, betont Schneider. Wie das Beispiel der Schweiz zeigt, kann eine stärkere öffentliche Beteiligung an der Haushaltsplanung („participatory budgeting“) zu mehr Transparenz und geringerer Korruption führen. Die in der Alpenrepublik fest verankerte direkte Demokratie sowie der Fiskalföderalismus, d.h. eine dezentrale Organisation der Haushalte, beinhalten Elemente der partizipativen Haushaltsplanung und tragen nach Einschätzung Schneiders mit dazu dabei, dass die Schweiz vergleichsweise sehr niedrige Korruptionswerte aufweist.

Einkommensgerechtigkeit spielt eine zentrale Rolle bei der Bekämpfung von Korruption – und damit mittelbar auch hinsichtlich der Emigrationsbereitschaft. Sie kann durch ein als gerechter empfundenes Lohnsystem in Verbindung mit geringeren Korruptionserlebnissen einerseits die Wanderungsbereitschaft reduzieren. Andererseits kann eine sich stärker schließende Einkommensschere aber auch dazu beitragen, dass zusätzliche Bevölkerungsgruppen materiell in die Lage versetzt werden, ihre Emigration zu betreiben.

Die Politik muss sich dessen bewusst sein, darf aber Anstrengungen, durch Umverteilungsmaßnahmen gezielt die Schere zwischen Arm und Reich zu verringern, deshalb nicht unterlassen. Weiterhin sollten Regierungen stärker in Bildung und Berufsförderung investieren, um das Humankapital ihrer Länder zu stärken. In Verbindung mit geringerer Korruption kann verbesserte Bildung den Arbeitsmarkt dahingehend stabilisieren, dass nicht persönliche und politische Kontakte, sondern individuelle Eignung das Weiterkommen begünstigt. Unabhängig von den potenziellen Wanderungseffekten sollte dies das zentrale Ziel auch der internationalen Entwicklungszusammenarbeit sein.

Bildquellen: pixabay, IZA World of Labor 2015: 192

Filed Under: Research

Söhne übernehmen rechtsextreme Einstellungen der Eltern häufiger als Töchter

November 5, 2015 by admin

Die Sozialisierung der Eltern spielt für die Entwicklung ihrer Kinder eine erhebliche Rolle. Auch politische Präferenzen werden oft von den Eltern an die Kinder übertragen. Doch gilt dies auch für rechtsextreme und tendenziell ausländerfeindliche Ansichten?

Ein aktuelles IZA-Diskussionspapier von Alexandra Avdeenko (Universität Mannheim) und Thomas Siedler (Universität Hamburg und IZA) ist dieser Frage nachgegangen. Die Studie untersucht den Zusammenhang von rechtsextremen Parteipräferenzen und Einstellungen zur Zuwanderung zwischen Eltern und deren erwachsenen Kindern in Deutschland.

Bei den Ansichten zum Thema Zuwanderung findet die Studie in der Tat einen starken Zusammenhang zwischen den Generationen. Darüber hinaus werden rechtsextreme Parteipräferenzen der Eltern an ihre Söhne weitergeben, nicht jedoch an die Töchter.

Grundlage der Untersuchung waren Interviewdaten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) des DIW Berlin. Für die Untersuchung wurden die Daten seit 1990 genutzt, die jährlich erhoben werden und es den Forschern ermöglichten, die Einstellungen der Eltern mit denen ihrer Kinder über einen langen Zeitraum zu vergleichen.

Um sicherzustellen, dass die Beeinflussung von den Eltern ausgeht und nicht etwa die erwachsenen Kinder ihre Eltern beeinflussen, wurden die Einstellungen zu unterschiedlichen Zeitpunkten gemessen. Ebenso wurden sozio-ökonomische und lokale Einflussfaktoren berücksichtigt.

Der Studie zufolge liegt die Wahrscheinlichkeit, dass junge Erwachsene einer rechtsextremen Partei zuneigen, im Durchschnitt um sechs Prozentpunkte höher, wenn ihre Eltern es während der Kindheit der Nachkommen ebenfalls taten. Betrachtet man Töchter separat, so ist bei ihnen kein Zusammenhang mit den Präferenzen der Eltern feststellbar. Bei Söhnen jedoch erhöht sich die Wahrscheinlichkeit sogar um rund 13 Prozentpunkte.

Besorgnis über Zuwanderung auch unter Töchtern

Gleichauf liegen beide Geschlechter, wenn es um die Übertragung von Sorgen über Immigration nach Deutschland geht: Bei Söhnen und Töchtern erhöht sich die Besorgnis um 27 Prozentpunkte (60 Prozent), wenn deren Eltern ebenfalls zuwanderungsskeptisch eingestellt waren.

Bei Analysen auf der Basis von Bevölkerungsbefragungen ist zu berücksichtigen, dass die Teilnehmer falsche Angaben machen können und ihre wahren Ansichten verschleiern. Dies gilt umso mehr, wenn es sich um extreme Positionen handelt. Um diesem Problem zu begegnen, haben Avdeenko und Siedler die Angaben zu rechtsextremen Parteipräferenzen mit den Wahlergebnissen dieser Parteien bei Bundestagswahlen auf Kreisebene verglichen. Es zeigte sich, dass die Angaben aus den Interviews mit den Wahlergebnissen von NPD, DVU und Republikanern stark übereinstimmen.

Die Forscher berücksichtigen eine Reihe an beobachtbaren Einflussfaktoren, etwa Einkommen, Bildungsstand und Arbeitslosigkeit der Eltern, aber auch die Stärke der rechtsextremen Parteien im jeweiligen Wahlkreis, in dem das Kind aufgewachsen ist. Allerdings heben die Ökonomen hervor, dass sie keine kausalen Effekte feststellen, sondern lediglich „intergenerationale Korrelationen“. Andere Faktoren, die sich anhand der Daten nicht bewerten lassen, könnten das Weiterreichen der Einstellungen ebenfalls beeinflussen.

Auch ein anderes Phänomen bleibt unerklärt: Geschlechterunterschiede bei der intergenerationalen Weitergabe von parteipolitischen Präferenzen waren nur im rechtsextremen Bereich zu beobachten. Bei anderen Parteien sind ähnliche Unterschiede zwischen der Beeinflussbarkeit von Töchtern und Söhnen nicht festzustellen.

Bildquelle: pixabay

Filed Under: Research

Futur und Geduld: Sprache beeinflusst ökonomische Entscheidungen von Kindern

October 22, 2015 by admin

Geduld ist ein Charakterzug mit Auswirkungen auf viele Lebensbereiche. Auch Ökonomen untersuchen daher neben Forschern anderer Disziplinen, wie Geduld in intertemporalen Entscheidungen – also die Neigung, „mehr Ertrag morgen“ gegenüber „weniger Ertrag heute“ vorzuziehen – mit Gesundheit und Wohlstand zusammenhängen.

Die Forschung zeigt: Geduldige Erwachsene bringen im Job bessere Leistungen, behalten ihre Stelle länger, überziehen Kreditkarten weniger stark und rauchen seltener. Bei Jugendlichen geht Geduld mit besseren schulischen Leistungen und einem gesünderen Lebensstil einher. Langzeitstudien haben eindrucksvoll belegt, dass sich ein hohes Maß an Geduld bei Kindern im späteren Leben auszahlt – durch höheren Bildungsstand, mehr Einkommen, bessere Gesundheit (weniger Fettleibigkeit, Alkoholismus und Tabakkonsum) und geringere Kriminalitätsraten.

Was hat Sprache damit zu tun?

Nach der von Keith Chen entwickelten „linguistic savings“-Hypothese rufen Sprachen, die Futur und Präsens grammatikalisch klar unterscheiden, weniger zukunftsorientiertes Verhalten hervor als solche, in denen Präsens anstelle des Futurs gebräuchlich ist. So ist etwa in der englischen Sprache die Futur-Form für zukünftige Ereignisse verpflichtend. Ein Beispiel: Es muss heißen „tomorrow it will rain“ (nicht „tomorrow it rains“), während im Deutschen die Formulierung „morgen regnet es“ gebräuchlich ist.

Durch den Verzicht auf die Futur-Form rückt die Zukunft näher an die Gegenwart. Wenn somit das Eintreten zukünftiger Ereignisse sicherer erscheint, sollte zukunftsorientiertes Verhalten an Attraktivität gewinnen. Der grammatikalische Unterschied könnte also ökonomisches Verhalten insbesondere dann beeinflussen, wenn es um Entscheidungen mit intertemporalen Konsequenzen geht.

Experiment mit Südtiroler Grundschülern

Ein Verhaltensexperiment von IZA-Fellow Matthias Sutter (Universität Köln), Silvia Angerer (IHS Kärnten), Daniela Glätzle-Rützler (Universität Innsbruck) und Philipp Lergetporer (ifo-Institut) stützt diese Hypothese. Durchgeführt wurde das Experiment mit Grundschülern im norditalienischen Meran, dessen rund 38,000 Einwohner jeweils zur Hälfte deutsch- bzw. italienischsprachig sind. Beide Sprachgruppen leben Tür an Tür, aber die Schulen mit gleichem Einzugsgebiet sind nach Sprachen getrennt.

Aufgrund dieser Besonderheit konnten die Forscher 860 Kinder im Alter von 6 bis 11 Jahren untersuchen, die bis auf die Sprache in vergleichbaren „Verhältnissen“ aufwachsen. In dem Experiment analysierten sie die Zeitpräferenzen der Kinder anhand von simplen Entscheidungen: Die Kinder konnten wählen, wenige kleine Geschenke sofort oder eine größere Anzahl an Geschenken in wenigen Wochen zu erhalten.

Deutsche Sprache regt eher zu Geduld an

Die Ergebnisse zeigen, dass deutschsprachige Kinder deutlich geduldiger sind als ihre italienischsprachigen Altersgenossen: Sie sind eher bereit, für mehr Geschenke länger zu warten. Bereits im Alter von sechs Jahren lässt sich ein klarer Unterschied beobachten, der sich über alle Altersgruppen hinweg fortsetzt (siehe Abbildung).

Relative Häufigkeit von geduldigen Entscheidungen

Die Autoren können ausschließen, dass dieser Befund auf den soziodemografischen Hintergrund der Kinder oder Unterschiede bei Intelligenz und Risikoeinstellungen zurückzuführen ist. Besonders bemerkenswert: Kinder, in deren Haushalt beide Sprachen gesprochen werden, liegen auf der „Geduld-Skala“ genau zwischen den beiden einsprachigen Gruppen.

Geduld trainieren: Zukunftsorientierte Entscheidungsfindung stärken

Wie aber lassen sich solche scheinbar sprachlich bedingten „Geduldsdefizite“ abbauen? Neuere Studien aus der Verhaltensökonomik legen drei mögliche Ansatzpunkte zur Förderung zukunftsorientierten Verhaltens nahe: das Setzen geeigneter Standards („Defaults“) für Entscheidungen, das Bestärken einer aktiven Entscheidungsfindung (durch möglichst transparente Gestaltung von Wahlmöglichkeiten und das Erzwingen von Entscheidungen) oder die Einführung von verbindlichen Selbstverpflichtungen.

Künftige Studien könnten untersuchen, ob diese Instrumente in verschiedenen Sprachgruppen gleich gut funktionieren und wie sie genutzt werden können, um Kinder in Geduld zu trainieren. Mit Blick auf den nachweislich langfristigen Nutzen von Geduld könnten Individuen und Gesellschaft gleichermaßen davon profitieren.

Bildquelle: pixabay, IZA DP No. 9383

Filed Under: Research Tagged With: behavior, German, health, intertemporal choice, Italian, language, linguistic savings, patience, wealth

ADHS-Diagnosen hängen vom Einschulungsalter ab

October 7, 2015 by admin

Das Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätssyndrom (ADHS) zählt zu den häufigsten Diagnosen von Verhaltensauffälligkeit unter schulpflichtigen Kindern. ADHS-Diagnosen sind unter Ärzten, Lehrern und Eltern gleichermaßen umstritten, weil sie als stigmatisierend empfunden werden und medikamentöse Therapien von schweren Nebenwirkungen begleitet sein können.

Besonders frappierend in diesem Zusammenhang: Die Wahrscheinlichkeit einer ADHS-Diagnose hängt stark vom relativen Alter eines Schülers innerhalb einer Klassenstufe ab. Darauf weist eine aktuelle Studie von IZA-Fellow Hannes Schwandt (Universität Zürich) und Amelie Wuppermann (LMU München) hin.

Ob ein Kind mit fünf oder sechs Jahren eingeschult wird, hängt in Deutschland zunächst davon ab, ob sein Geburtstag vor oder nach einem bundeslandspezifischen Stichtag liegt. Wenige Wochen oder Tage zwischen Geburtstag und Stichtag entscheiden dann, ob ein Kind zu den jüngsten oder ältesten Mitschülern gehört. Das neue IZA-Diskussionspapier zeigt, dass diese Stichtagsregelung schwerwiegende Folgen haben kann.

Die Forscher analysierten bundesweite, kassenübergreifende ärztliche Abrechnungs- und Arzneiverordnungsdaten des Versorgungsatlas von rund sieben Millionen Kindern und Jugendlichen zwischen vier und 14 Jahren aus den Jahren 2008 bis 2011. Das Ergebnis: Kinder, die im Monat vor dem Stichtag geboren sind, also zu den jüngsten ihrer Klasse zählen dürften, erhalten zu 5,3% eine ADHS-Diagnose. Bei Kindern mit Geburtstag im Monat nach dem Stichtag ist die Wahrscheinlichkeit deutlich geringer (4,3%). Die Grafik verdeutlicht, dass innerhalb der jeweiligen Klassenstufe die ADHS-Diagnosehäufigkeit mit steigendem Einschulungsalter der Kinder abnimmt:

ADHS-Diagnosewahrscheinlichkeit nach Alter

Als Ursache vermuten die Autoren, dass das Verhalten jüngerer – und damit in der Regel unreiferer – Kinder in einer Klasse mit dem der älteren Kinder verglichen wird. Ausgeprägtere Impulsivität, Hyperaktivität und Unaufmerksamkeit bei den jüngeren werden somit häufiger als ADHS interpretiert.

Angesichts des ADHS-Stigmas und der Gefahren medikamentöser Behandlung hoffen die Ökonomen, dass ihre Ergebnisse auch in der medizinischen Praxis Beachtung finden. „Unsere Studie zeigt, dass die traditionelle Einschulungspolitik, bei der die Schulpflicht an gegebene Stichtage geknüpft wird, die Diagnosehäufigkeit psychischer Erkrankungen bei Kindern beeinflussen kann. Kinder, die quasi gleich alt sind, haben aufgrund der Einschulungspolitik ein unterschiedlich hohes Risiko, eine ADHS-Diagnose zu bekommen“, schreiben die Forscher.

Filed Under: Research Tagged With: ADHS, attention deficit, classroom, diagnosis, Germany, medication, school starting age

25 Jahre Deutsche Einheit: Neue Forschungsergebnisse zu „Children of the Wall“ und Lebensqualität

October 3, 2015 by admin

Der heutige Tag markiert den 25. Jahrestag der deutschen Wiedervereinigung. In Ostdeutschland hatte der Übergang von der sozialistischen Planwirtschaft zur freien Marktwirtschaft tiefgreifende Folgen für den Arbeitsmarkt und beeinflusste alle Aspekte des täglichen Lebens. Doch auch die „alte“ Bundesrepublik musste sich in vieler Hinsicht anpassen. Das IZA hat den Wiedervereinigungsprozess mit zahlreichen Studien, Gutachten und Politikempfehlungen konstruktiv begleitet.

Die demografischen Konsequenzen zählen zu den am meisten unterschätzten Aspekten der deutschen Wiedervereinigung. Dabei waren die Auswirkungen enorm: In den ersten drei Jahren nach dem Zusammenbruch des sozialistischen Regimes sank in Ostdeutschland die Geburtenrate um 50% – der stärkste und schnellste Rückgang von Geburtenraten, der jemals in Friedenszeiten stattgefunden hat. Eine aktuelle Studie von Arnaud Chevalier und Olivier Marie, die in Kürze im Journal of Political Economy erscheinen wird, beschäftigt sich mit den Auswirkungen des „Geburtenschocks“ nach der Wiedervereinigung auf das Risikoverhalten und die Kriminalitätsentwicklung.

Ostdeutsche Frauen, die kurz nach der „Wende“ von 1989 ein Kind zur Welt brachten, waren den Ergebnissen der Untersuchung zufolge im Durchschnitt jünger, weniger gebildet und öfter unverheiratet als Vergleichsgruppen. In der Wissenschaft werden diese Merkmale mit einer höheren Wahrscheinlichkeit geringerer „elterlicher Fähigkeiten“ assoziiert, die dann wiederum häufig zu negativen sozioökonomischen Entwicklungen der Kinder beitragen. In ihrer Analyse zeigen die Forscher, dass „Children of the Wall“ (Kinder, die zwischen 1991 und 1993 in Ostdeutschland geboren wurden), mit deutlich höherer Wahrscheinlichkeit im späteren Leben straffällig geworden sind. Statistisch gesehen wurden sie 50% häufiger von der Polizei festgenommen als vergleichbare Altersgenossen. Dies erklären die Forscher mit der Tatsache, dass Personen, die kurz nach dem Fall der Mauer Eltern wurden, wesentlich seltener in der Lage waren eine enge persönliche Bindung zu ihren Kindern aufzubauen. Zwar schnitten die „Children of the Wall“ im Alter von 17 Jahren in Bezug auf ihr allgemeines Bildungsniveau nicht schlechter ab als andere Jugendliche, doch verfügten sie in vielen Fällen über keine ausgeprägte emotionale Bindung zu ihren Eltern.

Die Studie betrachtet darüber hinaus das Risikoverhalten junger Eltern aus der Wendezeit, das sowohl die Entscheidung zur Elternschaft, als auch das zukünftige Kriminalitätsverhalten der Kinder beeinflusst hat. Frauen, die sich nach dem Zusammenbruch der DDR dazu entschieden haben Kinder zu bekommen, waren demnach im Vergleich risikobereiter eingestellt. Dieses Risikoverhalten wurde offenbar in vielen Fällen auf die Kinder übertragen. Damit bestätigt die neue Studie den Forschungsstand zur generationenübergreifenden Übertragung von Risikoeinstellungen.

Jenseits von demografischen Themen hat sich das IZA-Netzwerk insbesondere auf die Folgen der deutschen Einheit für den Arbeitsmarkt konzentriert. Zum zehnjährigen Jahrestag der Wiedervereinigung unterzogen Holger Bonin und IZA-Direktor Klaus F. Zimmermann die Arbeitsmarktpolitik und Ausbildungsprogramme des wiedervereinigten Deutschlands einer kritischen Analyse. Im Jahr 2002 widmeten sich Paul Frijters, John P. Haisken-DeNew und Michael A. Shields der Frage, welche Erwartungen die Ostdeutschen an den gesamtdeutschen Sozialstaat hatten und ob diese erfüllt wurden. Sie belegten, in welchem Maß die Bewohner der neuen Länder den Umfang gesamtdeutscher Sozialleistungen zunächst überschätzt hatten. Axel Heitmueller und Kostas G. Mavromaras verglichen die Lohnentwicklung im öffentlichen und privaten Sektor und stellten fest, dass sich die Löhne im öffentlichen Sektor recht schnell anglichen, während die Lohnunterschiede in der Privatwirtschaft deutlich länger bestehen blieben. Im Jahr 2006 machten Dennis J. Snower und Christian Merkl in einer kritischen Einschätzung des ostdeutschen Arbeitsmarkts darauf aufmerksam, dass manche Anpassungsprobleme von verschiedenen Arbeitsmarktinstitutionen eher noch verschärft denn gelindert worden sind.

Die Frage nach der Veränderungen in der Lebenszufriedenheit nach der Wiedervereinigung wurde von der IZA-Forschungsgemeinschaft gleich mehrfach untersucht. Eine Studie von Richard A. Easterlin und Anke C. Zimmermann lieferte detaillierte Ursachen über das Wohlbefinden von verschiedenen Bevölkerungsgruppen in Ost- und Westdeutschland. Unterschiede in der Zufriedenheit mit der Lebensqualität zwischen Ost und West bestehen bis heute, wie eine Untersuchung von Christian Pfeifer und Inna Petrunyk aus dem Jahr 2015 zeigt: Demnach ist die Zufriedenheit mit der Lebensqualität in Ostdeutschland im Durchschnitt nach wie vor geringer als in Westdeutschland. Allerdings verringert sich diese Ost-West Kluft in den jüngeren Geburtenjahrgängen immer weiter.

Bildquelle: Pixabay

Filed Under: Research Tagged With: Children of the Wall, demography, East Germany, Fall of the Berlin Wall, fertility, German reunification, Germany, Journal of Political Economy, labor market, labor market policy, life satisfaction

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