Die deutsche Zuwanderungsdiskussion ist in Bewegung; das Problembewußtsein steigt in vielen Parteien. Benötigt eine angemessene Reaktion auf den zunehmenden Mangel an Fachkräften Verbesserungen im Zuwanderungsrecht wie die Einführung eines aktiven Auswahlverfahrens für Zuwanderer aus nichteuropäischen Staaten? CDU-Generalsekretär Peter Tauber hatte die Debatte ausgelöst und erhielt am Montag der Woche Unterstützung durch ein Zehn-Punkte-Papier der einflußreichen CDU 2017-Gruppe aus Unionspolitikern um CDU-Präsidiumsmitglied Jens Spahn. Am Dienstag legte der Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion Thomas Oppermann nach einer Informationsreise nach Kanada ein siebenseitiges Positionspapier seiner Fraktion vor, das erhebliche Neuregelungen einschließlich eines Punktesystems vorsieht. Seit Wochen werben auch die Grünen für einen Gesetzentwurf, der nachfrage- mit angebotsorientierter Zuwanderung kombinieren will. Andererseits verweisen Gegner über die Parteien hinweg darauf, dass Deutschland bereits über sehr großzügige Zuwanderungsangebote verfüge. Sind weitere Reformen bis hin zur Einführung eines Punktesystems tatsächlich notwendig?
Ein Blick auf die Zahlen verdeutlicht das eigentliche Problem: Im Jahr 2013 sind nur knapp 34.000 Erwerbsmigranten aus Nicht-EU-Staaten nach Deutschland gekommen. Ihr Anteil an allen Zuwanderern dieses Jahres belief sich auf weniger als vier Prozent. Offenbar ist das bisherige Zuwanderungsangebot für die Zielgruppe nichteuropäischer Fachkräfte bei weitem nicht attraktiv genug, um „die Besten“ in größerer Zahl für Deutschland zu gewinnen. Dennoch gibt es in der Öffentlichkeit erhebliche Vorbehalte gegen die Zuwanderung aus Drittstaaten. Erforderlich ist deshalb ein aktives Auswahlsystem, das nach innen wie nach außen die richtigen Signale sendet.
Die IZA-Experten Holger Hinte, Ulf Rinne und Klaus F. Zimmermann plädieren in einem heute vorgestellten Positionspapier abwägend für neue Elemente einschließlich der Einführung eines Punktesystems und legen dazu einen konkreten Gestaltungsvorschlag vor. Das Konzept einer Drei-Säulen-Strategie spricht unterschiedliche Zielgruppen an: Während in kurzfristiger Perspektive vor allem Kriterien wie die Qualifikation für einen Mangelberuf oder ein konkretes Arbeitsplatzangebot entscheidend sind, rücken in langfristiger Perspektive allgemeine Humankapitalaspekte und Integrationsfragen in den Vordergrund. Auch Asylsuchenden und Flüchtlingen soll der Zugang zum Auswahlverfahren ermöglicht werden, um vorhandene Potenziale besser zu erschließen. Ebenso ist vorgesehen, bereits in Europa arbeitenden Drittstaatsangehörigen und ausländischen Studienabsolventen im Rahmen des Auswahlsystems einen „Startvorteil“ zu gewähren. Insgesamt sorgt das vorgeschlagene System für eine klare Unterscheidung zwischen zunächst nur temporärer Zuwanderung bei kurzfristigen Arbeitsmarktengpässen und einem Daueraufenthalt zur Bewältigung der langfristigen Folgen des demografischen Wandels.
Ein solches Auswahlsystem erzielt nach Auffassung der IZA-Experten einen doppelt positiven Effekt und ist damit der bestehenden, insgesamt noch zu intransparenten Gesetzgebung überlegen: Erstens wird deutlich, für welche Fachkräfte sich Deutschland öffnet. Jeder Interessierte kann im Vorfeld über einen Online-Test selbst überprüfen, wie die eigenen Chancen stehen, nach Deutschland kommen zu können, und wie man sie verbessern kann. Zweitens sorgt ein Punktesystem auch für Klarheit darüber, dass Deutschland die Zuwanderung in den Arbeitsmarkt aktiv selbst gestaltet und sie nicht nur passiv hinnimmt.
IZA-Direktor Klaus F. Zimmermann sagte anlässlich der Vorstellung des neuen Positionspapiers:
„Wir brauchen einen neuen Aufbruch in der Zuwanderungspolitik. Mit weiteren Verbesserungen wie einem Punktesystem könnte Deutschland im wahrsten Sinne des Wortes ‚Punkte machen‘ im Wettbewerb um die besten Fachkräfte. Ein System mit klaren Auswahlkriterien und beschränkten, aber flexiblen Einreisekontingenten sorgt auch dafür, dass wir mehr Verlässlichkeit erreichen. Unter dem Strich kann so ein Vierklang aus Transparenz, Berechenbarkeit, Flexibilität und Akzeptanz erreicht werden. Das ist die Grundvoraussetzung für eine auch langfristig erfolgreiche Gewinnung von Fachkräften und für eine noch bessere Integrationspolitik.“
Weitere Informationen zum Thema finden Sie auch hier:
Lesen Sie dazu auch einen Bericht in „DIE WELT“ vom 5. März 2015.