Politiker in Europa haben ihren nationalen Entwicklungshilfeagenturen ein dringendes Mandat erteilt: Konzentriert euch auf die Bekämpfung der Fluchtursachen vor Ort, um die Migrationswelle aus armen Ländern deutlich zu reduzieren.
Diese Bemühungen sind gerade mit Blick auf Afrika von großer Bedeutung, da der Kontinent südlich der Sahara Schätzungen zufolge bis zum Jahr 2050 einen Nettozuwachs von 800 Millionen Arbeitskräften verzeichnen wird.
Damit das Vorhaben Erfolg haben kann, ist zweierlei erforderlich: Erstens müsste es gelingen, die Lebensbedingungen in den Herkunftsländern der Migranten wesentlich zu verändern. Und zweitens müsste ein solcher Wandel obendrein dazu führen, dass wirklich weniger Menschen auswandern wollen.
Mit anderen Worten: Die Bereitstellung von mehr Entwicklungshilfe an sich reicht also keineswegs aus, um die auf Seiten der Industrieländer politisch gewünschten Ergebnisse auch wirklich zu erzielen.
Diesen ebenso hochaktuellen wie hochbrisanten Fragen sind wir in einem IZA Policy Paper nachgegangen. Unser Hauptbefund ist, dass sich die Hoffnung nicht erfüllen wird, dass mehr Entwicklungshilfe die Auswanderung aus armen Ländern tatsächlich reduziert.
Im Normalfall dauert es nämlich – wenn man die durchschnittliche historische BIP-Wachstumsrate zugrunde legt – fast 200 Jahre, bis in einem armen Land der Impuls zur Migration nachlässt. Die Auswanderung geht erst dann systematisch zurück, wenn die betroffenen Länder ein Pro-Kopf-Einkommen von etwa 8.000 bis 10.000 US-Dollar (gemessen auf Kaufkraftbasis) erreicht haben.
Auf den ersten Blick überraschen mag auch die Tatsache, dass Länder mit einem Pro-Kopf-Einkommen von 5.000 bis 10.000 US-Dollar (auf Kaufkraftbasis) im Durchschnitt eine dreimal höhere Anzahl an Auswanderern verzeichnen als Länder, in denen das Pro-Kopf-Einkommen unter 2.000 US-Dollar liegt. In den ärmsten Ländern fehlt es schlicht an Mitteln und Wegen, um den Migrationswunsch in die Tat umzusetzen.
Mit anderen Worten: Bis zum Erreichen der Einkommensschwelle von 8.000 bis 10.000 US-Dollar nimmt die Migrationsneigung in armen Ländern bei wachsendem Wohlstand sogar tendenziell zu.
Und selbst wenn man sehr optimistisch annimmt, dass sich das jährliche Wirtschaftswachstum durch Entwicklungshilfe um zwei Prozentpunkte steigern ließe (eine Verdreifachung der bisherigen Rate), würde es bis zum Erreichen dieser Einkommensschwelle noch ein halbes Jahrhundert dauern.
Erschwerend kommt dabei hinzu, dass viele wissenschaftlich belastbare Studien keinen nennenswerten Wachstumseffekt von Entwicklungshilfe feststellen können.
Aus wissenschaftlicher Sicht ist ebenso unklar, ob finanzielle Hilfe aus dem Ausland Probleme wie die Jugendarbeitslosigkeit, die Konfliktprävention oder die Menschenrechtslage in den Herkunftsländern von Flüchtlingen positiv beeinflussen kann. Bisherige Einzelmaßnahmen konnten hier bestenfalls geringe Erfolge erzielen und lassen sich nicht ohne weiteres im großen Maßstab umsetzen.
Die wichtigste politische Konsequenz dieser Befunde liegt auf der Hand: Westliche Politiker, die derzeit gerne mit öffentlichen Appellen zur Bekämpfung der Fluchtursachen in den Herkunftsländern hervortreten, müssen der Versuchung widerstehen, ihren Wählern gegenüber ein – zumindest implizit – falsches Versprechen zu machen.
Ein Mehr an Entwicklungshilfe bzw. besser gesteuerte Hilfe laufen keineswegs darauf hinaus, die Migration aus Entwicklungsländern einzudämmen. Selbst im Idealfall wird es Generationen brauchen, bis dieser Effekt einsetzt.
All diese Feststellungen bedeuten indes nicht, dass mehr Entwicklungshilfe die Situation in großen Herkunftsländern in Zukunft nicht verbessern kann. Sie machen aber eine Erkenntnis für die politischen Entscheidungsträger unumgänglich: Maßnahmen zur Gestaltung der Migration müssen über eine Eindämmung der Wanderungsströme hinausgehen.
Statt primär deren Ausmaß reduzieren zu wollen, sollten sich Politik und Entwicklungshilfeagenturen vielmehr darauf konzentrieren, den Prozess und die Art der Migration in enger Zusammenarbeit mit den Herkunftsländern, etwa im Rahmen von Ausbildungspartnerschaften, aktiv zu gestalten. Nur so kann es gelingen, den potenziellen Nutzen für alle Beteiligten zu maximieren.