Das IZA Crisis Response Monitoring liefert eine unabhängige Bewertung der internationalen politischen Krisenreaktionen. Darüber hinaus haben wir für den IZA Newsroom einige unserer Länderexpertinnen und -experten nach ihren persönlichen Erfahrungen und Einschätzungen zur Arbeitsmarktlage in ihrem Land gefragt. Den Anfang machen Lena Hensvik und Oskar Nordström Skans von der Universität Uppsala mit aktuellen Einblicken aus Schweden. Die vergleichsweise laxe Corona-Politik der schwedischen Regierung wurde lange als Vorbild gehandelt, geriet dann aber zunehmend in die Kritik, als die Todeszahlen stiegen und die Wirtschaft trotzdem einbrach. Wir wollten von Lena und Oskar wissen, wie sich der Arbeitsmarkt entwickelt hat und was für die nächsten Monate zu erwarten ist.
Wie beurteilt ihr die aktuelle Arbeitsmarktlage in Schweden und die Rolle der Politik?
Lena: Wie fast überall war auch in Schweden die Lage anfangs ziemlich dramatisch. Denn auch wenn wir keinen offiziellen Lockdown hatten, sondern dringende „Empfehlungen“ zum Social Distancing, hatte das natürlich massive Auswirkungen auf das Verhalten der Menschen. Beispielsweise blieben die Restaurants zwar mit einigen Einschränkungen geöffnet, aber der Umsatz in der Gastronomie brach binnen einer Woche um 70 Prozent ein. So etwas bleibt nicht ohne ernsten Schaden für die Wirtschaft. Aber es geht langsam wieder bergauf.
Oskar: Die Kurzarbeit-Regelungen, die als Reaktion auf die Krise eingeführt wurden, haben sehr geholfen. Auch dank anderer Maßnahmen wie Kreditgarantien (die allerdings kaum genutzt wurden) konnten die Unternehmen zunächst abwarten, wie sich die Krise entwickelt, ohne gleich ihre Leute entlassen oder Konkurs anmelden zu müssen.
Die gesundheitlichen Folgen waren bei uns gravierender als bei unseren direkten Nachbarn.
Im europäischen Vergleich ist es Schwedens Wirtschaft noch relativ gut ergangen, aber auch nicht viel besser als unseren direkten Nachbarn, die deutlich schärfere Corona-Auflagen hatten. Die gesundheitlichen Folgen waren bei uns zwar gravierender, aber kein Vergleich zu Großbritannien oder einigen südeuropäischen Ländern, die noch restriktivere Maßnahmen hatten als unsere Nachbarn. Zum jetztigen Zeitpunkt lassen sich die Ländererfahrungen aber noch schwer vergleichen, und wir sind auch keine Gesundheitsexperten. Klar ist aber, dass all diese Dinge systematisch evaluiert werden müssen, wenn die Krise vorbei ist.
Wie wird der Arbeitsmarkt in sechs bis zwölf Monaten aussehen?
Lena: Wir gehen davon aus, dass sich die Lage allmählich entspannen wird. Es bleibt zu hoffen, dass viele der Jobs, die unter den Empfehlungen zum Social Distancing besonders gelitten haben, gerettet werden können. Die Wiederaufnahme des regulären Geschäftsbetriebs dürfte in Schweden etwas schleppender verlaufen als anderswo, weil es weniger formelle Restriktionen und dementsprechend auch keine formellen Lockerungen gibt.
Die einzige Hoffnung auf eine rasche Erholung am Arbeitsmarkt ist die Wiederbelebung der bestehenden Betriebe.
Oskar: Einige Branchen – zum Beispiel alles, was mit Veranstaltungen, Kultur und Reisen zu tun hat – werden noch lange zu kämpfen haben. Andere Dienstleistungsbereiche sehen schon wieder Licht am Ende des Tunnels. Das ist ungemein wichtig, denn die einzige Hoffnung auf eine rasche Erholung am Arbeitsmarkt ist die Wiederbelebung der bestehenden Betriebe. Neue Jobs zu schaffen und strukturelle Anpassungen vorzunehmen dauert immer deutlich länger.
Welche Maßnahmen würden dem schwedischen Arbeitsmarkt besonders helfen?
Oskar: Die Unternehmen brauchen mehr aktive Unterstützung, um aus der Krise zu kommen – wobei darauf geachtet werden muss, dass keine Fehlanreize gesetzt werden. Leistungen wie das Kurzarbeitergeld, die nur gezahlt werden, wenn die Produktion runtergefahren wird, bergen immer die Gefahr, dass sich die Rezession künstlich in die Länge zieht, weil Inaktivität subventioniert wird.
Unternehmen, die vorzeitig die Kurzarbeit beenden, sollten steuerlich entlastet werden.
Wir könnten uns stattdessen vorstellen, Unternehmen gezielt steuerlich zu entlasten, die vorzeitig von der Kurzarbeit in den Normalbetrieb zurückkehren. Auch die aktuell sehr großzügigen Regelungen im Krankheitsfall könnten wieder zurückgedreht und auf nachweislich Corona-Infizierte beschränkt werden, um übermäßige Fehlzeiten zu verringern, die den Aufschwung bremsen könnten.
Lena: Ähnliches gilt übrigens auch für die aktive Arbeitsmarktpolitik. Alles, was der Wiederaufnahme produktiver wirtschaftlicher Aktivitäten förderlich ist, sollte Priorität haben.
Welche Aspekte der Krisenreaktion in Schweden findet ihr besonders bemerkenswert?
Oskar: Wie auch andere Länder hat die schwedische Regierung innerhalb kürzester Zeit ein umfangreiches Rettungspaket geschnürt. Aber auch die Unternehmen haben sich äußerst flexibel gezeigt und sind zum Teil sehr konstruktiv mit der Krise umgegangen. Zum Beispiel wurden Flugbegleiterinnen innerhalb von ein, zwei Wochen zu Pflegekräften umgeschult. Daraus können wir für die Zukunft einiges lernen.
Lena: Auch auf die universitäre Pflegeausbildung gab es einen regelrechten Run – die Anmeldungen sind um 30 Prozent gestiegen. Das ist ein gutes Zeichen, denn gerade in diesem Bereich mangelt es akut an qualifizierten Fachkräften.
Arbeitsuchende zeigen sich bereits flexibler und schwenken auf krisenfestere Branchen um.
Für ein aktuelles IZA Discussion Paper habe ich mit zwei Kollegen ausgewertet, wie sich das Jobsuchverhalten in Zeiten von Corona geändert hat. Dabei haben wir festgestellt, dass sich die Arbeitsuchenden bereits deutlich flexibler zeigen und zum Teil auf krisenfestere Branchen umschwenken. Das lässt hoffen, dass sich Angebot und Nachfrage auf dem Stellenmarkt relativ gut zueinander bringen lassen.