Die Corona-Krise hat Schulen und Universitäten weltweit gezwungen, ihren Lehrbetrieb binnen kürzester Zeit auf digitale Fernangebote umzustellen. Schon wird diskutiert, inwieweit die unter Hochdruck eingeführten Online-Angebote nicht nur bei der Bewältigung der Krise helfen, sondern auch langfristig den Lehrbetrieb beeinflussen könnten. Aber wäre eine Ausweitung der digitalen Fernstudiums-Angebote überhaupt wünschenswert? Die bisherige ökonomische Forschung zum Thema zeichnet ein gemischtes Bild.
Online-Angebote erschließen neue Studierendengruppen
Ein wichtiger Vorteil von digitalen Fernstudiengängen besteht darin, dass sie einer breiteren Bevölkerungsschicht den Zugang zu höheren Bildungsabschlüssen eröffnen. Menschen, die aufgrund von gesundheitlichen Einschränkungen, der Pflege von Angehörigen oder Kinderbetreuung daran gehindert sind, ein reguläres Präsenzstudium aufzunehmen, profitieren von der hohen Flexibilität digitaler Studiengänge.
Ebenso können Berufstätige, die sich universitär weiterbilden wollen, ein flexibles Fernstudium aufnehmen. In Zeiten des wachsenden Fachkräftemangels und der Akademisierung von immer mehr Berufszweigen ist somit eine Ausweitung der tertiären Bildung um diesen Personenkreis durch Mittel der Digitalisierung zweifellos wünschenswert.
In empirischen Untersuchungen hat sich gezeigt, dass Studieninteressierte durchaus abschätzen können, ob digitale Fernstudienangebote für sie geeignet sind. So entsteht eine positive Selektion hinsichtlich der Lernfähigkeit in digitalen Umgebungen: Nur Studierende, die erwarten erfolgreich zu sein, nehmen die neuen Online-Angebote wahr. Umfangreiche Meta-Studien stellen somit auch wenig überraschend positive Zusammenhänge zwischen Online-Angeboten und Studienerfolg fest.
Nur experimentelle Ansätze können einen kausalen Effekt bestimmen
Ein einfacher Vergleich von Studienerfolg und Studienabbruch in Fern- und Präsenzstudiengängen gibt jedoch nicht unbedingt Aufschluss darüber, wie sich die im Zuge der Corona-Krise zwingend für alle eingeführten Online-Angebote auf den individuellen Studienerfolg auswirken werden. Studierende haben derzeit eben keine Wahl, sondern sind durch die aktuelle Lage gezwungen, Online-Angebote wahrzunehmen. Eine Selektion anhand persönlicher Erwartungen an die Passgenauigkeit der neuen Angebote findet dadurch praktisch nicht statt.
Für eine Folgenabschätzung der erzwungenen und weitestgehend verpflichtenden Einführung von Online-Angeboten ist es notwendig, den kausalen Effekt dieser Angebote auf den Studienerfolg zu bestimmen. Dazu muss, anders als beim reinen Vergleich der Online- und Präsenzstudierenden, eine mögliche positive Selbstselektion von Studierenden in die Online-Angebote ausgeschlossen werden. So lässt sich sicherstellen, dass sich Studierende in Online- und Präsenz-Angeboten weitestgehend gleichen.
Geeignete Feldexperimente oder quasi-experimentelle Ansätze analysieren Situationen, in denen Studierende, wie auch jetzt durch die Corona-Krise, exogen und somit ohne Wahlmöglichkeit den neuen Angeboten ausgesetzt werden, während sie aber gleichzeitig mit einer Kontrollgruppe verglichen werden können, die weiterhin durch Präsenzangebote unterrichtet werden. Diese Ansätze nähern sich randomisierten Kontrollgruppendesigns an, wie sie etwa auch zur Bestimmung der Wirksamkeit von neuen Medikamenten genutzt werden.
Online-Angebote verringern die Studienleistung schwächerer Studenten
Eine umfangreiche ökonomische Literatur hat entsprechende Ansätze anhand von Situationen entwickelt, in denen etwa wegen zu hoher Nachfrage nach Lehrangeboten Teile des Studiums in Online-Angebote ausgelagert wurden. Diese Analysen liefern ein eher ernüchterndes Bild.
So erlitten etwa Studierende eines einführenden Mikroökonomie-Kurses, der als reine Online-Vorlesung angeboten wurde, im Vergleich mit Studierenden eines traditionellen Face-to-Face-Formats substanzielle Einbußen bei der Abschlussnote. Solche negativen Effekte bestehen langfristig und führen zu höheren Studienabbruchquoten.
Problematisch ist vor allem, dass die negativen Auswirkungen von Online-Angeboten besonders akademisch schwächere sowie Studierende mit Sprachbarrieren zu treffen scheint. Bei Hybrid-Angeboten hingegen, die Online-Lernen mit traditionellem Face-to-Face-Unterricht kombinieren, sind solche negativen Auswirkungen nicht erkennbar.
Insgesamt ergibt sich aus all diesen Studien ein konsistentes Bild: Reine Online-Angebote ohne Wahlmöglichkeit verringern substanziell den Studienerfolg und führen zu einer Spreizung der Leistungen, verstärken also potenziell die gesellschaftliche Ungleichheit. Gründe für das schlechtere Abschneiden von Online- gegenüber Präsenz-Studierenden scheinen vor allem in Zeitrestriktionen außerhalb des Studiums sowie mangelnder Selbstorganisation zu liegen.
Nach der Krise sollten neue Angebote nicht automatisch zum Standard werden
Online-Angebote haben das Potenzial, neue Studierendengruppen zu erschließen und durch hohe Flexibilität auch Menschen ein Studium zu ermöglichen, denen durch familiäre, gesundheitliche oder berufliche Gründe ein Präsenzstudium nicht möglich ist. Aber die Lehre durch Online-Angebote ist mit Nachteilen verbunden, und akademisch schwächere Studenten profitieren nicht notwendigerweise von den neuen Angeboten.
Die nun unter dem Druck der Corona-Krise eingeführten neuen Lehrformate sollten daher möglichst mit begleitenden Face-to-Face-Angeboten, etwa über Videosprechstunden, kombiniert werden. Die persönliche Ansprache ist für schwächere Studierende mit Organisationsproblemen ein notwendiger Ankerpunkt, um bei fehlender sozialer Integration in Fernstudiengängen die Studienmotivation aufrechtzuerhalten.
Nach Bewältigung der Krise sollten die neuen Angebote, selbst wenn sie sich auf den ersten Blick zu bewähren scheinen, nicht einfach beibehalten oder gar zum Standard erhoben werden. Eine rigorose empirische Evaluation muss zeigen, ob die Vorteile einer höheren Flexibilität von Online-Angeboten die möglichen Nachteile durch reduzierten Lernerfolg und Chancengleichheit überwiegen. Ausgehend von der bisherigen Evidenz ist kaum anzunehmen, dass digitale Fernstudienformate auf absehbare Zeit geeignet wären, das traditionelle Präsenzstudium für breite Studierendengruppen zu ersetzen.