Läuft die Wirtschaft schlecht, häufen sich in den USA die Anträge auf Leistungen der staatlichen Erwerbsunfähigkeitsversicherung (SSDI). Ein möglicher Grund sind die negativen Auswirkungen von Rezessionen auf die körperliche und psychische Gesundheit. Es gibt jedoch zahlreiche Hinweise darauf, dass auch Arbeitslose mit geringen gesundheitlichen Einschränkungen häufiger (und zudem erfolgreicher) eine Invalidenrente beantragen, wenn sie in Krisenzeiten den Job verlieren.
Ein aktuelles IZA-Forschungspapier von Delia Furtado, Kerry L. Papps und Nikolaos Theodoropoulos geht der Frage nach, inwieweit die „antizyklische“ Antragshäufigkeit durch das soziale Umfeld der Betroffenen beeinflusst wird. Einerseits könnte ein verbreiteter Leistungsbezug im Bekanntenkreis die Schwelle zur Beantragung senken. Andererseits könnten tradierte Werte und Normen mit Blick auf den gesellschaftlichen Stellenwert von Erwerbsarbeit dazu führen, dass eine Abhängigkeit von staatlichen Leistungen aus Furcht vor Stigmatisierung vermieden wird.
Werte, Normen und sozialer Druck
Auf Basis umfangreicher Daten der Jahre 2001 bis 20017 untersuchten die Forscher, wie sich Einwanderer aus verschiedenen Ländern in ihrem Antragsverhalten unterscheiden. Dabei stellten sie fest: Je stärker in den jeweiligen Herkunftsländern die Erwerbstätigkeit als gesellschaftliche Norm angesehen wird und die Unabhängigkeit von staatlichen Leistungen als erstrebenswert gilt, desto geringer der konjunkurelle Einfluss auf die Beantragung der Invalidenrente. Dass bestimmte ethnische Gruppen überdurchschnittlich von krisenbedingten Jobverlusten und gesundheitlichen Einschränkungen betroffen sein könnten, wurde in der Analyse berücksichtigt.
Da der gleiche Zusammenhang auch für Einwanderer der zweiten Generation nachweisbar war, halten die Autoren ihren Befund für weitgehend auf die Gesamtbevölkerung übertragbar. Demnach sei der Anstieg der attestierten Erwerbsunfähigkeit in Krisenzeiten primär auf das von den wahrgenommenen „sozialen Kosten“ beeinflusste Entscheidungsverhalten der Betroffenen zurückzuführen.
Die Forscher halten es für problematisch, dass die Invalidenrente offenbar zunehmend als Absicherung gegen Arbeitsplatzverlust diene. Denn wer seinen Job in der Rezession verloren habe, finde im Aufschwung häufig wieder neue Arbeit. Wer jedoch einmal Invalidenrente beziehe, bleibe in der Regel für immer im Leistungsbezug.
Weitere Details zu Methodik und Ergebnissen der Studie finden Sie in der englischsprachigen Zusammenfassung der Autoren.