Zwischen der medial und politisch vermittelten Relevanz der Themenkomplexe „Plattformwirtschaft“ bzw. „Crowdwork“ und ihrer tatsächlichen empirischen Dimension besteht eine beachtliche Diskrepanz. Online akquirierte Arbeitsaufträge werden nur von einem Bruchteil aller Erwerbstätigen durchgeführt (aktuellen Studien zufolge ca. ein bis vier Prozent), vorwiegend in der Altersgruppe der 25- bis 44-Jährigen.
Der hohe Anteil Jüngerer verdeutlicht, dass Crowdworking in Onlineprojekten und Plattformarbeit (bei lokalen Dienstleistungen) bislang vor allem auch als Arbeitsform im Übergangsprozess zwischen Bildungsabschluss und Arbeitsmarkteinstieg zu betrachten ist. Geringfügige Beschäftigung, Zeitarbeit, Solo-Selbstständigkeit (offline) und andere Beschäftigungsformen stagnieren derzeit zwar, spielen auf dem deutschen Arbeitsmarkt aber eine markant größere Rolle als jede Form von Crowdworking oder Plattformarbeit.
Ein aktueller IZA Research Report beleuchtet als Teil eines mehrere Staaten umfassenden Analyseprojekts im Auftrag der Europäischen Kommission die aktuellen Ausprägungen der Plattformökonomie in Deutschland und ihre Rezeption auf der Ebene von Gesetzgebung, Politik, Gewerkschaften, Plattformbetreibern und Plattformbeschäftigten. Im Rahmen des Projekts wurden umfangreiche Interviews mit ausgewählten Stakeholdern geführt. Ihre Ausführungen vermitteln ein recht plastisches Bild des gegenwärtigen, noch sehr unreifen Status quo der Plattformökonomie in Deutschland.
Zwischen Ausbeutung und individueller Freiheit
Derzeit überwiegt vielfach eine eher kritische Wahrnehmung der Plattformarbeit unter dem Aspekt von prekärer Beschäftigung, (Selbst-)Ausbeutung, Lohndumping und mangelnder sozialer Absicherung. Eine zumindest perspektivisch positivere Einschätzung erscheint aber ebenso legitim: Die fortschreitende Digitalisierung wird in der Tendenz die Entkoppelung von Arbeitsort und Arbeitsinhalt weiter vorantreiben und damit auch neue Bedürfnisse nach virtuellen Arbeitsformen schaffen.
Ein zunehmender Fachkräftemangel könnte zudem dafür sorgen, dass sich die unternehmerische Nachfrage nach plattformbasierten Zugriffen auf qualifizierte Crowdworker verstärkt. Auch unter dem Aspekt der wichtiger werdenden Work-Life-Balance könnten Plattformökonomien an Attraktivität gewinnen, sofern sie individuelle Arbeitszeiten und -orte ermöglichen. Vorerst bleibt die weitere Entwicklung in diesem Arbeitsmarktsegment jedoch in hohem Maße spekulativ.
Bereitschaft zum Sozialdialog
Trotz einer generellen Tendenz der Plattformbetreiber, strengere Regulierungen zu vermeiden, besteht mittlerweile eine gewisse Bereitschaft einiger Plattformen und ihrer Verbände, sich an einem Sozialdialog zu beteiligen und auf eine Diskussion über Standards einzulassen. Auf Ebene der Plattformbeschäftigten sind zugleich erste Schritte hin zu einer kollektiven Interessensartikulation und Organisation erkennbar.
Die Natur der Plattformwirtschaft macht es allerdings eher unwahrscheinlich, dass sie künftig stark von traditionellen Form des Sozialdialogs und der Tarifpartnerschaft geprägt sein wird. Im Bereich hochwertiger Plattform-Dienstleistungen zeichnet sich indes bereits ab, dass die Plattformbetreiber durch Selbstverpflichtungen und spezifische Angebote in einen Wettbewerb um knapper werdende Fachkräfte treten werden.
Regulierung mit Augenmaß
Für die Politik stellt sich die Herausforderung, ein im Entstehen befindliches Arbeitsmarktsegment nicht durch Überregulierung in seiner Entwicklung zu behindern, zugleich aber die Entwicklung durch behutsame Steuerung in auch sozialpolitisch effiziente Bahnen zu lenken. Dabei sollte es vor allem um die Durchsetzung von Mindeststandards, um Fragen der Besteuerung, vor allem aber um innovative Wege gehen, die Beschäftigten in die Sozialversicherungen einzubeziehen.
Nicht zuletzt wird es aber auch darum gehen müssen, die Arbeitsgesetzgebung, die bisher fast ausschließlich die „normale“ Beschäftigung regelt, auf die Plattformwirtschaft auszuweiten, um arbeitsrechtlich mit den Entwicklungen Schritt zu halten und den Status dieses Segments aufzuwerten, aber auch zu vermeiden, dass gerade im Bereich einfacher Tätigkeiten in einer „Grauzone“ zwischen Selbstständigkeit und abhängiger Beschäftigung eine Umgehung von etablierten Standards praktiziert wird.
Eine Kurzfassung des Reports ist in deutscher Sprache erschienen.