Die neue Bundesregierung strebt einen frühzeitigeren Kohleausstieg an, laut Koalitionsvertrag „idealerweise“ bis 2030. Bedenken gab es vor allem hinsichtlich der damit einhergehenden Jobverluste. Doch allein anhand der Anzahl der wegfallenden Arbeitsplätze lassen sich die Kosten nicht bewerten, denn die individuellen Konsequenzen sind für die Betroffenen sehr unterschiedlich: Auf einen Jobverlust kann eine lange Periode der Arbeitslosigkeit folgen, ein direkter Jobwechsel oder eine Frühverrentung. Im neuen Job können Bezahlung und Beschäftigungssicherheit besser oder auch schlechter sein.
Ein aktuelles IZA-Forschungspapier von Luke Haywood, Markus Janser und Nicolas Koch untersucht die Bedeutung dieser unterschiedlichen Faktoren – Arbeitslosigkeit, geringere Löhne und Jobsicherheit – für den Wohlfahrtsverlust der Beschäftigten, um eine Reihe wichtiger Fragen zu beantworten: Wer ist am stärksten vom Jobverlust betroffen? Welche zusätzlichen Kosten kommen bei einem von 2038 auf 2030 vorgezogenen Kohleausstieg auf die Beschäftigten zu? Und welche arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen könnten Abhilfe schaffen?
Für ihre Studie analysierten die Forscher die Arbeitsmarktbiografien aller Beschäftigten in der Kohleindustrie, mit besonderem Fokus auf Beschäftigte im Braunkohletagebau. So konnten neben der Beschäftigungsdauer auch die Gehälter in der Kohleindustrie mit anderen Industrien verglichen werden.
Beschäftigte mittleren Alters verlieren am meisten
Haupttreiber der Wohlfahrtskosten sind demnach nicht die entgangenen Einkommen aufgrund von Arbeitslosigkeit nach Ausscheiden aus der Kohleindustrie, sondern vielmehr der Wechsel von höher bezahlten, relativ sicheren Jobs im Kohlebergbau zu weniger gut bezahlten und weniger sicheren Jobs in anderen Industrien. Dies erklärt auch, warum weder die Jüngeren noch die Älteren am meisten verlieren, sondern Beschäftigte mittleren Alters. Diese haben einerseits schon einen hohen Lohn, den sie andererseits auch noch über viele Jahre erhalten würden, wenn es keinen Kohleausstieg gäbe.
Das Autorenteam errechnet ein Drittel höhere Wohlfahrtskosten für einen früheren Kohleausstieg ohne begleitende Maßnahmen in 2030 – insgesamt etwa 2,19 Milliarden Euro. Treiber dieser Zusatzkosten ist die Alterszusammensetzung der Beschäftigten. Durch Verrentung scheiden in den nächsten Jahren außergewöhnlich viele Beschäftigte aus dem Erwerbsleben aus. Den Simulationen zufolge würden zwischen 2030 und 2038 rund 1.500 Beschäftigte in Rente gehen – diese Gruppe wäre also von einem früheren Kohleausstieg besonders betroffen.
Entgeltsicherung würde Wohlfahrtsverluste erheblich reduzieren
Die Studie zeigt jedoch, dass arbeitsmarktpolitische Maßnahmen substanzielle Abhilfe schaffen können. Das derzeit favorisierte Mittel – das Anpassungsgeld als eine Art staatlich subventionierte Frühverrentung – hat allerdings mehrere Nachteile. Erstens ist es für den Staat teuer, da es größtenteils bestehende Betriebsrenten ersetzt. Zweitens steht es nur Beschäftigten über 58 Jahren zur Verfügung, obwohl gerade Beschäftigte mittleren Alters die größten Kosten tragen. Drittens beinhaltet es wenig Anreize, dass Beschäftigte am Arbeitsmarkt aktiv bleiben, wo doch gerade Fachkräftemangel in der am stärksten von Jobverlust betroffenen Lausitz derzeit als größte Herausforderung gilt.
Dem problematischen Anpassungsgeld stellen die Autoren eine „Entgeltsicherung“ gegenüber. Diese staatliche Lohnsubvention ermöglicht es Beschäftigten, ihr Gehaltsniveau zu erhalten, auch wenn sie aus der gutbezahlten Kohleindustrie in einen anderen Bereich wechseln. Dafür würde der Staat für einen begrenzten Zeitraum – zum Beispiel fünf Jahre – die Lohnunterschiede bei einem Jobwechsel aus der Kohleindustrie übernehmen.
Ein ähnliches Modell hat die Bundesagentur für Arbeit schon einmal für ältere Arbeitslose organisiert, es erscheint also umsetzbar. Die Autoren rechnen zwar mit Kosten von rund 615 Millionen Euro, jedoch würden dadurch die Wohlfahrtskosten des Kohleausstiegs 2030 um über 90 Prozent verringert. Gesamtfiskalisch dürfte also der kostendämpfende Effekt der Entgeltsicherung deren Mitteleinsatz laut Studie um mehr als das Doppelte übertreffen. Zugleich könnten auf diese Weise wichtige Fachkräfte in den betroffenen Regionen gehalten werden.