Schon seit Adam Smith beschäftigen sich Ökonomen unter dem Sammelbegriff „Sozialkapital“ mit der wirtschaftlichen Rolle von Netzwerken, gemeinsamen Werten, bürgerschaftlichem Engagement und Vertrauen. Zahlreiche Studien zeigen, dass Länder und Regionen mit geringem Sozialkapital bei Entwicklung und Wachstum hinterherhinken.
Doch in vielen Industrienationen ist das Sozialkapital in den letzten Jahrzehnten spürbar zurückgegangen, vor allem in Bereichen des bürgerschaftlichen Engagements und der politischen Partizipation. In seinem Bestseller Bowling Alone legte Robert Putnam nahe, dass Fernsehen und Videospiele gemeinsame Freizeitaktivitäten zunehmend verdrängen. Das Internet mit seinen interaktiveren Elementen könnte diesen Trend also noch verstärken.
Bislang sind die Auswirkungen des Internets auf das Sozialkapital trotz der hohen gesellschaftlichen Relevanz kaum empirisch untersucht. Ein aktuelles IZA-Forschungspapier von Andrea Geraci, Mattia Nardotto, Tommaso Reggiani und Fabio Sabatini füllt diese Lücke mit einer Auswertung neuer britischer Daten. Die Autoren untersuchen, wie sich die Einführung von schnellem Internet auf das bürgerschaftliche und politische Engagement sowie die sozialen Bindungen der Briten ausgewirkt hat.
Wie häufig in der ökonomischen Forschung stellt sich auch hier die Kernfrage nach der Kausalität: Geht die Internetnutzung nur zeitlich mit einem ohnehin schwindenden Sozialkapital einher? Oder gibt es womöglich sogar einen umgekehrten Wirkungszusammenhang in dem Sinne, dass sozial besonders aktive Personen das Internet verstärkt zur Pflege ihrer Offline-Beziehungen nutzen?
Ausbau der Breitband-Infrastruktur
Um einen direkten Effekt der Internetanbindung ermitteln zu können, nutzen die Autoren detaillierte Informationen über die Topologie des britischen Telefonnetzes. Zu Beginn des Breitbandausbaus hing die Netzgeschwindigkeit entscheidend von der Entfernung zum nächsten DSL-Netzknoten ab, so dass sich auch innerhalb derselben Wohngebiete deutliche Unterschiede beim Internetzugang ergaben.
Auf diese Weise fanden die Forscher heraus, dass in räumlicher Nähe zu den Netzknoten das Sozialkapital, gemessen anhand verschiedener Indikatoren, zumindest teilweise durch das Internet verdrängt wurde. Zwar gibt es keinerlei Hinweise darauf, dass der Breitbandzugang alltägliche gesellschaftliche Interaktionen wie Treffen mit Freunden verringert hätte. Allerdings verdrängte schnelles Internet verschiedene Formen des gemeinsamen kulturellen Konsums, etwa Besuche von Kinos, Konzerten und Theatervorstellungen. Darüber hinaus reduzierte sich infolge des Breitbandausbaus das bürgerschaftliche Engagement und die politische Partizipation – also zeitintensive, uneigennützige Freizeitaktivitäten.
Die Autoren weisen darauf hin, dass sich ihre Analyse auf den Zugang zu schnellem Internet konzentriert und die wachsende Bedeutung der sozialen Medien mit ihren potenziell gegenläufigen Effekten eine gesonderte Betrachtung erfordere. So könne politische Partizipation gerade in jungen Demokratien und autoritären Regimen durch die Mobilisierung über soziale Medien gestärkt werden. Andererseits steige dadurch das Risiko von „Fake News“ und einer extremen Polarisierung der politischen Debatte.