Weltweit hat die Fluchtmigration In den letzten Jahren traurige Rekordwerte erreicht. Allein im vergangenen Jahr flohen innerhalb kurzer Zeit über fünf Millionen Menschen aus der Ukraine, nachdem bereits 2021 rund eine Million Menschen aufgrund der Verschlechterung der politischen und wirtschaftlichen Lage Afghanistan verlassen hatten.
Die Integration einer hohen Zahl von Geflüchteten stellt die Aufnahmeländer vor große Herausforderungen. Durch vermehrte Spannungen zwischen den Neuankömmlingen und der einheimischen Bevölkerung droht ein Verlust von Solidarität und Vertrauen in die Gesellschaft. Doch lässt sich diese Einschätzung auch mit Daten belegen, oder beruht sie vielmehr auf anekdotischer Evidenz oder dem „Bauchgefühl“ der Menschen?
Dieser Frage gehen Emanuele Albarosa und Benjamin Elsner in einem aktuellen IZA-Forschungspapier nach, das die Auswirkungen des massiven Zustroms von Geflüchteten nach Deutschland in den Jahren 2015 und 2016 auf die Einstellungen und Wahrnehmungen der Menschen gegenüber der Gesellschaft untersucht.
In diesem Zeitraum suchten mehr als eine Million Menschen Asyl in Deutschland, vor allem aus Syrien, Afghanistan und dem westlichen Balkan. Die anfänglich gefeierte „Willkommenskultur“ kippte unvermittelt, als es in der Silvesternacht 2015/2016 zu gewalttätigen Übergriffen kam, an denen kurz zuvor eingereiste Migranten beteiligt waren. Dieser ungewöhnlich plötzliche und deutliche Wandel in der öffentlichen Meinung ist für die Forschung besonders aufschlussreich, um Zusammenhänge zwischen Einstellungen gegenüber Geflüchteten und der Gesellschaft zu ermitteln.
Auf Basis umfangreicher Daten aus dem Sozioökonomischen Panel (SOEP), einer repräsentativen Wiederholungsbefragung der deutschen Bevölkerung, analysieren die Forscher verschiedene gesellschaftliche Indikatoren wie Vertrauen, Fairnessempfinden, Sorge über die Entwicklung der Kriminalität sowie Spendenbereitschaft für wohltätige Zwecke. Die Analyse vergleicht dabei Personen, die vor dem Flüchtlingszustrom ähnliche Einstellungen hatten, jedoch in Regionen mit unterschiedlich hoher Zahl aufgenommener Geflüchteter wohnten.
Insgesamt fanden die Autoren kaum Hinweise darauf, dass der Flüchtlingszustrom die Einstellungen und Wahrnehmungen der Menschen maßgeblich beeinflusst hätte. Die roten Punkte in Abbildung 1 zeigen die geschätzte Auswirkung einer Verdoppelung der lokalen Anzahl von Flüchtlingen im Vergleich zu 2014 auf die Wahrscheinlichkeit, dass Befragte einer Aussage wie „Im Allgemeinen kann man den Menschen vertrauen“ oder „Wenn man mit Fremden zu tun hat, ist es besser vorsichtig zu sein, bevor man ihnen vertraut“ stark zustimmen.
Ein Effekt von 0,01 bedeutet, dass sich die Wahrscheinlichkeit um einen Prozentpunkt erhöht. Die Auswirkungen auf die allgemeine Wahrnehmung der Gesellschaft sowie die Besorgnis über Kriminalität und Zuwanderung sind gering und statistisch nicht signifikant. Ein signifikanter Effekt zeigt sich nur bei der Spendenbereitschaft für wohltätige Zwecke, die bei einem lokalen Anstieg der Flüchtlingszahlen zurückgeht.
Dieser Effekt geht offenbar zum Großteil auf Regionen mit hohem Stimmenanteil für die AfD zurück, wo darüber hinaus auch zunehmende Besorgnis über Kriminalität und Zuwanderung zu verzeichnen ist (siehe Abbildung 2).
Als besonders beunruhigend bewerten die Forscher die Ergebnisse ihrer Analyse fremdenfeindlicher Gewalt (siehe Abbildung 3). Die Auswertung von Daten der Amadeu Antonio Stiftung ergab, dass es in zwei Jahren nach der Flüchtlingskrise in Kommunen mit hohen Geflüchtetenzahlen vermehrt zu fremdenfeindlichen Straftaten kam, während in den Vorjahren kein solcher Zusammenhang erkennbar war.
Das Fazit der Studienautoren: Trotz des Wandels der öffentlichen Meinung im Laufe der Flüchtlingskrise haben sich die Wahrnehmung und Einstellungen der Deutschen zu ihrer Gesellschaft weit weniger verändert als oft beklagt. Dennoch belegen die deutlich messbaren Auswirkungen auf fremdenfeindliche Gewalt die gesellschaftlichen Spannungen, die mit der Aufnahme einer großen Zahl von Geflüchteten verbunden sind.