Die Ursachen der wachsenden Einkommensungleichheit in Deutschland werden kontrovers diskutiert. Eine neue Studie der Ökonomen Albrecht Glitz (UPF Barcelona und IZA) und Daniel Wissmann (LMU München) geht der Frage nach, wie sich Veränderungen bei der Qualifikationsrendite („skill premium“) auf die Lohnunterschiede zwischen besser und schlechter ausgebildeten Arbeitskräften auswirken.
Steigender Lohnunterschied zwischen Mittel- und Geringqualifizierten
Auf Basis von Arbeitsmarkt- und Mikrozensusdaten ermitteln die Autoren, dass in Deutschland die Lohndifferenz zwischen Arbeitnehmern mit mittlerem (Berufsausbildung und/oder Abitur) und geringem Qualifikationsniveau (Realschule oder weniger) in den 1980er Jahren leicht zurückging, aber seit dem Ende der 1980er Jahre um ein Drittel, von 18 auf 24 Prozent, gestiegen ist (siehe durchgezogene Linie in der Grafik).
Der Lohnunterschied zwischen Hochqualifizierten (Fachhochschule oder Universität) und Mittelqualifizierten entwickelte sich im gleichen Zeitraum u-förmig (siehe gestrichelte Linie). In den frühen 1980er und späten 2000er Jahren betrug sie jeweils 51 Prozent, Mitte der 1990er Jahre etwa 47 Prozent.
Während also der Lohnunterschied zwischen Mittel- und Hochqualifizierten heute wieder auf dem Niveau der 1980er Jahre liegt, ist die Differenz zwischen Mittel- und Niedrigqualifizierten um ein Drittel gewachsen. Dieser Anstieg, so die Autoren, lässt sich primär durch eine starke Zunahme der Qualifikationsrendite unter jungen Arbeiternehmern (30 und jünger) mit mittlerer Qualifikation erklären.
Bei der Untersuchung von Ausbildungsdaten zu den Geburtsjahrgängen 1950 bis 1981 stellten Glitz und Wissmann ab Jahrgang 1965 einen Bruch in der (west-)deutschen Ausbildungsentwicklung fest: Im Vergleich zu vorherigen Trends erhöhte sich sowohl der Anteil der Akademiker als auch der Anteil von Gerinqualifizierten. Das knappere Angebot in den Ausbildungsberufen führte zu einem relativen Lohnanstieg in dieser Gruppe und erklärt damit den Anstieg der Rendite gegenüber Geringqualifizierten.
Wachsende Anteile von Akademikern und Geringqualifizierten
Im Ergebnis zeigt sich, dass ein Teil der Lohnunterschiede zwischen den verschiedenen Qualifikationsgruppen in Deutschland auf veränderte Ausbildungsentscheidungen zurückgeführt werden kann. Nach 1965 entschieden sich im Verhältnis wesentlich weniger Deutsche für eine Ausbildung, während gleichzeitig die Anteile der Akademiker und der Geringqualifizierten zunahmen.
Neben Veränderungen der Nachfrage nach bestimmten Qualifikationsprofilen im Zuge von Digitalisierung und Globalisierung spielt demnach die Struktur des Arbeitskräfteangebots, die sich aus langfristigen Trends bei den individuellen Ausbildungsentscheidungen ergibt, eine nicht zu unterschätzende Rolle für die Entwicklung der Lohnlücke zwischen den verschiedenen Qualifikationsgruppen.