Die Vereinigten Staaten sind das Land mit der größten Ungleichheit unter den OECD-Staaten. Das ist insofern überraschend, als Umfragen zeigen, dass sich die meisten Menschen in den USA für eine gerechtere Verteilung des Wohlstands aussprechen. Warum also bleibt die Ungleichheit bestehen – und nimmt sogar weiter zu?
Ein Erklärungsansatz aus der Politikwissenschaft liefert eine mögliche Antwort: Zwar wünscht sich die Mehrheit der Bevölkerung mehr Umverteilung, nicht jedoch diejenigen, die den größten Einfluss auf die Politik haben – die Wirtschafts- und Finanzeliten.
Wie stichhaltig diese Erklärung ist, lässt sich jedoch gar nicht so leicht wissenschaftlich überprüfen, zumal Mitglieder der Wirtschaftselite eher selten an Umfragen zu Ungleichheit und Umverteilung teilnehmen. In einem aktuellen IZA-Forschungspapier untersuchen Marcel Preuss, Germán Reyes, Jason Somerville und Joy Wu daher die Einstellungen der Wirtschaftselite von morgen – MBA-Studierende in den Top-Programmen von Ivy-League-Universitäten.
Eliten akzeptieren größere Ungleichheit
In einem Experiment sollten die MBA-Studierenden als neutrale Beobachtende entscheiden, wie Einkommen zwischen zwei arbeitenden Personen verteilt werden. Dabei zeigte sich, dass sie deutlich ungleichere Verteilungen bevorzugen als die Durchschnittsbevölkerung.
Wenn die Einkommen zufällig zugewiesen wurden, führten die MBA-Studierenden eine Verteilung mit einem Gini-Koeffizienten von 0,43 herbei. Zum Vergleich: In früheren Studien lag dieser Wert für repräsentative US-Stichproben nur bei 0,36. (Der Gini-Koeffizient misst Ungleichheit – ein Wert von 0 bedeutet völlige Gleichheit, 1 maximale Ungleichheit.)
Der Unterschied zwischen den MBA-Studierenden und der Durchschnittsbevölkerung entspricht von der Größenordnung her etwa 35 Prozent des Unterschieds zwischen den USA und Norwegen, den ein früheres Experiment zu Ungleichheitspräferenzen im Ländervergleich gezeigt hat.
Effizienz vor Fairness
Der größte Unterschied zwischen den MBA-Studierenden und der Gesamtbevölkerung bestand in ihrer Reaktion auf Effizienzkosten, die entstehen, wenn durch Umverteilung das gesamte verfügbare Einkommen sinkt. In solchen Fällen reduzierten die MBA-Studierenden ihre Umverteilungsbereitschaft drastisch.
Schon geringe Effizienzkosten führten dazu, dass der von ihnen gewählte Gini-Koeffizient um 0,20 Punkte stieg – ein enormer Anstieg im Vergleich zur Durchschnittsbevölkerung. Die meisten Menschen in den USA ändern ihre Einstellungen kaum, selbst wenn die Umverteilung das Gesamteinkommen verringert.
Das deutet auf einen grundlegenden Unterschied in den Werten hin: Während die Durchschnittsbevölkerung eine faire Verteilung wichtiger findet als Effizienz, legen zukünftige Wirtschaftseliten mehr Wert auf den wirtschaftlichen Gesamtnutzen – selbst wenn es dadurch zu mehr Ungleichheit kommt.
Anhand dieser Erkenntnisse lässt sich besser verstehen, warum Maßnahmen zur Verringerung der Ungleichheit oft schwer politisch durchzusetzen sind, obwohl eine breite Bevölkerungsmehrheit sie befürwortet.