Die Corona-Pandemie und die damit verbundenen Politikmaßnahmen hatten massive Auswirkungen auf die seelische Gesundheit und Lebenszufriedenheit der Menschen. Da Umfragedaten immer nur eine Momentaufnahme liefern, lässt sich daraus nur bedingt ablesen, wie sich die Stimmung im Verlauf der Pandemie entwickelt hat – und ob die Menschen beispielsweise die Angst vor der Infektion oder die Einschränkungen des öffentlichen Lebens als belastender empfanden.
In einem aktuellen IZA-Forschungspapier nutzen Francesco Sarracino, Talita Greyling, Kelsey O’Connor, Chiara Peroni und Stephanie Rossouw daher einen innovativen Ansatz, um gewissermaßen den Finger an den Puls der Gesellschaft zu legen: Mit einer sogenannten Sentiment-Analyse, mit der sich aus Texten anhand der Sprachverwendung auf die Stimmung des Verfassers schließen lässt, werteten sie die Gefühlslage von Twitter-Nutzern in verschiedenen Ländern aus, hauptsächlich in Europa. Daraus konnten sie ein Echtzeitmaß für das „Bruttonationalglück“ (Gross National Happiness, GNP) ableiten, also die die durchschnittliche Gefühlslage im jeweiligen Land an einem bestimmten Tag.
Demnach ist das mentale Wohlbefinden zu Beginn der Pandemie im März 2020 drastisch zurückgegangen, was sich einerseits auf den exponentiellen Anstieg der Neuinfektionen (linke Grafik) zurückführen lässt, andererseits auf die Mitte März eingeführten Lockdowns und weiteren Corona-Maßnahmen (rechte Grafik). Nach dem ersten Schock erholte sich die Gefühlslage zunächst wieder, fiel dann jedoch kontinuierlich ab und erreichete Ende Oktober einen weiteren Tiefpunkt, der mit einem Höchststand bei den Infektionszahlen zusammenfällt.
Zum Jahresende erholte sich der Index erneut, bei sinkenden Fallzahlen und trotz relativ strenger Eindämmungsmaßnahmen. Eine detaillierte Analyse bestätigt, dass die Inzidenzen insgesamt einen stärkeren Effekt hatten als die Corona-Maßnahmen. Dafür spricht den Forschern zufolge auch, dass wirtschaftliche Ängste, Einsamkeit und das Vertrauen in nationale Institutionen im Jahresverlauf keinen signifikanten Einfluss auf das Bruttonationalglück hatten.
Aus Sicht der Autoren besonders bemerkenswert ist die relativ schnelle „Erholung“ vom ersten Corona-Schock, der auf eine durchaus ausgeprägte Resilienz in der Bevölkerung schließen lasse. Durch einen Abgleich mit anderen Messgrößen der Lebenszufriedenheit können die Forscher die Aussagekraft ihres Indikators sicherstellen. Allerdings geben sie zu bedenken, dass sich potenzielle psychische Langzeitwirkungen mit diesem Echtzeitmaß nicht abbilden lassen.