Anonyme Bewerbungen sollen Diskriminierung bei der Stellensuche verringern, indem Personaler keine Informationen über Merkmale wie Name, Foto, Alter und Geschlecht erhalten. Dadurch sollte es nicht mehr möglich sein, auf Grundlage dieser Merkmale zu diskriminieren. Die Identität des Bewerbenden wird zwar spätestens im Vorstellungsgespräch gelüftet, aber Diskriminierung muss nicht zwangsläufig nur auf diesen späteren Zeitpunkt verschoben werden. Möglicherweise entfalten sich auch Effekte über die Einladung zu einem Vorstellungsgespräch hinaus, denn bei einem persönlichen Kontakt können Vorurteile und Stereotypen leichter entkräftet werden.
Nachdem das bundesweite Pilotprojekt der Antidiskriminierungsstelle des Bundes mit durchaus ermutigenden Ergebnissen abgeschlossen wurde, haben zwischenzeitlich mehrere Bundesländer eigene Modellversuche gestartet. Das Projekt in Baden-Württemberg, initiiert vom dortigen Ministerium für Integration, wurde durch ein IZA-Team wissenschaftlich begleitet. Die Resultate sind jetzt veröffentlicht worden. Ein Jahr lang testeten elf Organisationen anonyme Bewerbungen. Insgesamt knapp 1.000 Bewerbungen wurden dabei anonymisiert eingesehen.
Auch in Baden-Württemberg zeigte sich, dass bei anonymen Bewerbungen Chancengleichheit für alle Bewerbergruppen herrscht. Bei gleicher Qualifikation werden also weibliche Bewerbende, Personen mit Migrationshintergrund und ältere oder jüngere Bewerbende mit gleicher Wahrscheinlichkeit zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Allerdings hat die Einführung von anonymen Bewerbungen die Chance auf ein Vorstellungsgespräch für die anonym betrachteten Personen im Vergleich zu einer Kontrollgruppe weder vergrößert noch verringert. Es herrschte bei den am Projekt teilnehmenden Organisationen also auch vorher schon Chancengleichheit. Das erscheint plausibel, zumal sich die freiwillig teilnehmenden Behörden und Unternehmen bereits zuvor für Vielfalt und Fairness eingesetzt haben und insofern eine positive, nicht-repräsentative Auswahl darstellen. Zu ähnlichen Ergebnissen kam eine frühere IZA-Studie und ein landesweites Projekt in Frankreich: Das wahre Potenzial von anonymen Bewerbungen kann sich nur in einer repräsentative Stichprobe von Organisationen zeigen.
Das Pilotprojekt in Baden-Württemberg hat jedoch weitere interessante Erkenntnisse geliefert. So zeigte sich unter anderem, dass gerade diejenigen Personaler das anonyme Verfahren unterstützen, die personenbezogene Merkmale als einflussreich im herkömmlichen Verfahren empfinden. Es wurde zudem eine höhere durchschnittliche Qualität der eingehenden Bewerbungen in den anonymen Verfahren beobachtet, was mit einem leichten Rückgang der Bewerberanzahl einherging. Demnach haben also Bewerbende, die nicht ernsthaft an der Stelle interessiert waren oder nicht ins Anforderungsprofil passten, den leicht erhöhten Aufwand einer anonymen Bewerbung von vornherein gescheut.
Das Projekt hat außerdem an den Einstellungen der Personaler gerüttelt: Nach Projektende stieg der Anteil derer, die ein anonymes Verfahren als objektiver empfinden, um 20 Prozentpunkte. Bei den Bewerbenden begrüßen insbesondere diejenigen, die sich schon einmal diskriminiert gefühlt haben, ein anonymes Verfahren. Aber auch andere Bewerbende stehen dem neuen Verfahren offen gegenüber: Insgesamt hält eine breite Mehrheit von 80 Prozent aller befragten Bewerbenden anonyme Bewerbungen für das objektivere Verfahren.
Der Abschlussbericht zum Pilotprojekt „Anonym Bewerben in Baden-Württemberg“ mit sämtlichen Ergebnissen ist als IZA Research Report No. 63 abrufbar.
Weitere Studien zum Thema:
- Krause, Annabelle, Ulf Rinne and Klaus F. Zimmermann (2012): “Anonymous Job Applications in Europe,” IZA Journal of European Labor Studies 1, Article 5, 1-20.
- Rinne, Ulf (2014): „Anonymous job applications and hiring discrimination,“
in: IZA World of Labor, Article 48.