Für die Debatte „Agenda 2010 – Braucht es eine Reform?“ auf XING Klartext hat IZA-Chef Hilmar Schneider die Vorschläge zum Arbeitslosengeld Q kommentiert:
- Schulz’ Vorschläge animieren zur Frühverrentung auf Kosten der Allgemeinheit
- Einer staatlichen Weiterbildungsgarantie droht Missbrauch durch Arbeitgeber
- Sinnlose Weiterbildungsmaßnahmen verlängern nur die Arbeitslosigkeitsdauer
Rechtsanspruch auf Weiterbildung nach drei Monaten Arbeitslosigkeit? Verlängerung des Anspruchs auf Arbeitslosengeld? Klingt gut aus der Sicht derjenigen, die sich Sorgen um ihren Job machen. Wäre es auch, wäre da nicht ein immer wiederkehrender Denkfehler. Es wird übersehen, dass das Risiko, das hier zu versichern ist, leider manipulierbar ist. Und das Interesse, es zu manipulieren, ist groß, denn es geht um viel Geld.
Je großzügiger die Versicherungsleistung, desto größer die Versuchung, dem Schicksal ein wenig nachzuhelfen. Der Fantasie sind hier keine Grenzen gesetzt. Dass der Leistungsanspruch aus der Arbeitslosenversicherung beim vorzeitigen Eintritt in den Ruhestand behilflich sein kann, ist sattsam bekannt. Man muss kein Rechenkünstler sein, um zu prognostizieren, was eine Verlängerung der Anspruchsdauer auf Arbeitslosengeld hier bewirken wird.
Filigraner ist da schon die Möglichkeit, dass bei einem Weiterbildungsanspruch nach spätestens drei Monaten Firmen beispielsweise schnell auf die Idee kommen könnten, ihre Mitarbeiter in Zukunft auf Kosten der Bundesagentur für Arbeit und damit auf Kosten der Beitragszahler weiterzuqualifizieren. Insbesondere bei Arbeitnehmern mit einem befristeten Arbeitsvertrag könnte das eine elegante Methode zur Senkung der betrieblichen Qualifizierungskosten werden.
Weiterbildungen verschlechtern mitunter sogar die Jobchancen
Dazu muss man wissen, dass Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände eigene Weiterbildungseinrichtungen unterhalten, denen nichts Einträglicheres widerfahren kann als eine staatlich verordnete Weiterbildungsgarantie in großem Stil. Daran wäre vielleicht nicht einmal etwas auszusetzen, wenn das entsprechende Weiterbildungsangebot in jedem Fall zu einer substanziellen Verbesserung der Jobchancen der Absolventen führen würde. Das ist aber mitnichten der Fall. Das Qualitätsspektrum ist immens. In zahlreichen wissenschaftlichen Untersuchungen ist belegt, dass Weiterbildungsteilnehmer nach Abschluss einer Maßnahme mitunter sogar schlechtere Jobchancen haben als vergleichbare Personen, die einfach so einen Job gesucht haben.
Und selbst wenn man sich nur auf Maßnahmen konzentrieren würde, die sich als erfolgreich erwiesen haben, heißt das noch lange nicht, dass sich dieser Erfolg beliebig skalieren ließe. Wenn beispielsweise erfolgreiche Absolventen eines CAD-Schweißer-Lehrgangs in der Regel sehr schnell unterkommen, gilt das sicher nicht mehr, wenn sich die Zahl der CAD-Schweißer durch die geplante Regelung auf einmal mehr als verfünffacht. Das ist tatsächlich die Größenordnung, um die sich die Zahl der Weiterbildungsmaßnahmen gegenüber heute erhöhen würde, wenn es zur Umsetzung der SPD-Vorschläge käme.
Es ist nur schwer vorstellbar, wie die Bundesagentur angesichts dieser Größenordnung noch den Überblick darüber behalten soll, welche Maßnahmen im Einzelfall sinnvoll sind und welche nicht. Sie hätte ohnehin alle Hände voll damit zu tun, den Anspruchsberechtigten überhaupt ein Weiterbildungsangebot zu unterbreiten. Statt sich auf die Verwaltung von Versicherungsleistungen zu konzentrieren, würde sie zu einer staatlichen Einrichtung zur Fütterung der Weiterbildungsindustrie umfunktioniert.
Aus der Sicht der Arbeitslosenversicherung ist eine Finanzierung von Weiterbildung ohnehin nur zu rechtfertigen, wenn die Teilnahme an einer Maßnahme dazu führt, dass jemand schneller wieder in Arbeit kommt als ohne die Maßnahme. Wenn es also – wie derzeit – im Durchschnitt neun Monate dauert, bis jemand ohne Maßnahme wieder eine Arbeit findet, sollten es mit Maßnahme im Durchschnitt deutlich weniger als neun Monate sein, oder die Maßnahme sollte zumindest dazu beitragen, das künftige Arbeitslosigkeitsrisiko zu mindern.
Ohne einen solchen Effekt führt der Weiterbildungszwang nur zu einer Erhöhung der Kosten der Arbeitslosigkeit, denn zusätzlich zu den Kosten für das Arbeitslosengeld fallen auch noch die Weiterbildungskosten an. Das mag kurzfristig durch die Reserven der Bundesagentur für Arbeit finanzierbar sein, aber mittelfristig wird es zu einer unnötigen Erhöhung der Beitragssätze durch unsinnige Maßnahmen und zu mehr und längerer Arbeitslosigkeit führen.
Auch in Schweden ist man damit gescheitert
In Schweden hat man vor Jahren versucht, mit einer vergleichbaren Weiterbildungsinitiative den Arbeitsmarkt in Schwung zu bringen (was in Deutschland derzeit übrigens nicht nötig wäre). Das Ergebnis entsprach exakt dem, was nach den obigen Ausführungen zu erwarten war. Kein Wunder, dass das Programm schon nach kurzer Zeit wieder eingestellt wurde.
Vergessen hat man in der SPD offenbar auch schon wieder, dass Weiterbildungsmaßnahmen vor der Hartz-Reform massiv dazu missbraucht wurden, Arbeitnehmer in den vorgezogenen Ruhestand zu entlassen. Damals firmierte dies unter dem verschleiernden Begriff Strukturkurzarbeitergeld.
Übrigens ist die Erwerbstätigenquote der 55- bis 64-Jährigen in Deutschland seit 2005 von unter 40 Prozent auf inzwischen fast 70 Prozent angestiegen. Diese Entwicklung ist geradezu sensationell und zeigt, dass Erwerbstätigkeit im Alter viel mehr mit finanziellen Anreizen zu tun hat als mit irgendetwas anderem. Durch die Beseitigung der starken Frühverrentungsanreize im Zuge der Hartz-Reform ist es Deutschland bislang gelungen, die negativen Folgen des Bevölkerungsrückgangs effizient zu vermeiden. Wer riskiert, einen solchen Erfolg wieder rückgängig zu machen, handelt schlicht verantwortungslos.
Dass die Umsetzung guter Ideen manchmal das Gegenteil dessen bewirkt, was beabsichtigt war, kommt häufiger vor, als einem lieb ist. Das mag verzeihlich sein, wenn man es vorher nicht besser wissen konnte. Für Wiederholungsfehler gilt das allerdings nicht.
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Diesen Artikel von Hilmar Schneider sowie weitere Debattenbeiträge zum Thema von Frank-Jürgen Weise und Dietmar Bartsch finden Sie auf XING Klartext.