Die wirtschaftlichen Folgen der Einführung gesetzlicher Lohnuntergrenzen sind nicht nur in Deutschland (wo der allgemeine Mindestlohn erst seit dem 1. Januar 2015 gilt) Gegenstand kontroverser Debatten. Sorgen Mindestlöhne für Einbußen bei den Unternehmensgewinnen und demzufolge für Rationalisierung und Beschäftigungsabbau?
Zahlreiche ökonomische Untersuchungen, darunter aktuelle IZA-Diskussionspapiere wie Bazen/Marimouto (2016), Lin/Yun (2016), Muravyev/Oshchepkov (2015) oder Kabátek (2015), gehen dieser Frage nach und analysieren die Folgen von Mindestlöhnen für den Arbeitsmarkt, das Lohngefälle oder die Produktivität einzelner Unternehmen. Darüber hinaus kann die Einführung eines Mindestlohns jedoch auch an den Aktienmärkten erhebliche Folgewirkungen haben – ein bislang wenig untersuchter Effekt.
Kursverluste nach überraschender Mindestlohn-Ankündigung
Um wissenschaftlich belegen zu können, wie sich Änderungen an der Lohnuntergrenze auf den Börsenwert eines Unternehmens auswirken können, müssen Schwankungen des Aktienpreises eindeutig auf die Mindestlohn-Ankündigung zurückzuführen sein. Das wird in der Praxis dadurch erschwert, dass die Einführung oder Erhöhung des Mindestlohns meist im Vorfeld diskutiert wird und insofern nicht völlig unerwartet kommt.
Mit einer Ausnahme: Im Juli 2015 kündigte die britische Regierung überraschend an, den seit 1999 bestehenden Mindestlohn (National Minimum Wage) durch die landesweite Einführung eines neuen „existenzsichernden“ Lohnes (National Living Wage) zu ergänzen. Dadurch sollte die Lohnuntergrenze für alle Arbeitnehmer über 25 Jahren ab April 2016 um satte 11 Prozent steigen.
Da diese Politikänderung – zumal von einer konservativen Regierung – weder von politischen Beobachtern noch von der Börse erwartet worden war, schlug sie sich unmittelbar in den Aktienkursen nieder. Die britischen Ökonomen Brian Bell (University of Oxford) und IZA-Fellow Stephen Machin (University College London) analysieren die Auswirkungen in einem neuen IZA Discussion Paper.
Bell und Machin beobachteten minutengenau, wie sich der Börsenwert einzelner Unternehmen ab dem Zeitpunkt veränderte, als der britische Finanzminister die Einführung des „National Living Wage“ in seiner Haushaltsrede am 8. Juli 2015 ankündigte. Tatsächlich waren schon nach wenigen Minuten deutliche Kursverluste erkennbar.
Die Forscher unterschieden dabei zwischen Unternehmen mit hohem Anteil an Geringverdienern, die vom neuen NLW begünstigt werden sollten (NLW Firms), und solchen mit Durchschnittslöhnen deutlich über Mindestlohnniveau (Non-NMW Firms), die durch die Gesetzesänderung kaum betroffen sein würden.
Keine negativen Beschäftigungseffekte zu erwarten
Während sich der Wert der Firmen mit höheren Löhnen (Non-NMW) schnell wieder erholte, hielt der Kursrückgang bei den NLW-Unternehmen an. Einen Tag nach der Ankündigung hatten die Aktien der Niedriglohnfirmen um 1,2 Prozent an Wert verloren, fünf Tage nach der Ankündigung stabilisierte sich der Wertverlust zwischen zwei und drei Prozent.
Damit entsprach der notierte Börsenwertverlust in etwa den Einbußen an Profitabilität, die die Firmen aufgrund des angekündigten „Lohnschocks“ hinnehmen müssen. Dennoch planen die betroffenen Unternehmen den Autoren zufolge keinen Stellenabbau, sondern wollen die Mehrkosten primär über Preiserhöhungen und Effizienzsteigerungen kompensieren.
Die Studie von Bell und Machin verdeutlicht, dass allein die bloße Ankündigung von einschneidenden politischen Eingriffen in den Arbeitsmarkt schon vor deren eigentlicher Umsetzung erhebliche Nebeneffekte haben kann.