Über dreißig Jahre lang hat das DDR-Ministerium für Staatsicherheit seine Inoffiziellen Mitarbeiter (IM) deren eigenen Freundes-, Bekannten- und Kollegenkreis bespitzeln lassen. Die wirtschaftlichen und sozialen Folgen wirken bis heute nach, wie ein aktuelles IZA Discussion Paper von Andreas Lichter, Max Löffler und Sebastian Siegloch zeigt.
Die Autoren nutzen den Umstand, dass die Anzahl der IM in der Bevölkerung stark zwischen den einzelnen Kreisen der ehemaligen DDR variierte (siehe Abbildung unten). Die jeweilige IM-Dichte setzen die Wissenschaftler in Beziehung zu sozialen und wirtschaftlichen Kennziffern, gemessen in den ersten zwei Jahrzehnten nach der Wiedervereinigung.
Korrelation oder Kausalität?
Die größte Herausforderung bei der statistischen Analyse besteht darin, den kausalen Effekt zwischen Stasi-Dichte und sozialen und wirtschaftlichen Maßen herzustellen. Um mehr als nur die bloße Korrelation einzufangen, berücksichtigen die Autoren zum einen die Befehlsstruktur der Stasi, in der die Leiter der DDR-Bezirksdienststellen ein wichtiges Wort bei der Verteilung der IM auf die Kreise mitzureden hatten. Die Studie vergleicht stets zwei benachbarte Kreise, rechts und links einer Bezirksgrenze, die von ihrer Wirtschafts- und Sozialstruktur sehr ähnlich waren, aber sich vor allem in ihrer Stasi-Dichte unterschieden.
Zum anderen wäre denkbar, dass die Stasi insbesondere in den Kreisen stark vertreten war, die traditionell liberal, progressiv oder wirtschaftsstark waren, was die Ergebnisse beeinflussen könnte. Doch eine Analyse von Daten aus den 1920er und 1930er Jahren zeigt, dass der nach der Wende zu beobachtende Zusammenhang zwischen der Spitzelaktivität und der regionalen Entwicklung nicht auf solche historischen Unterschiede zurückgeht.
Misstrauen bremst Untermehmergeist und Wachstum
Nach den Erkenntnissen der Studie hat die Überwachung durch die Staatssicherheit langfristige soziale und ökonomische Konsequenzen. Aus Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) geht hervor, dass intensivere Bespitzelung zu stärkerem Misstrauen der Menschen gegenüber Fremden führt. Auch das Vertrauen in die politischen Institutionen ist signifikant erschüttert: Die Wahlbeteiligung in Kreisen mit hoher Stasi-Dichte ist niedriger als in Kreisen, in denen weniger geschnüffelt wurde.
Zahlreiche andere Studien haben dokumentiert, dass das Vertrauen in die Mitmenschen ein wichtiges Schmiermittel für den wirtschaftlichen Erfolg ist. Potenzielle Unternehmer müssen Geschäftspartnern, Kunden und Kreditgebern vertrauen, um den Schritt in die Selbstständigkeit zu wagen und dort erfolgreich zu sein. So zeigt auch die aktuelle Studie, dass die Selbstständigen-Quote in Kreisen mit vielen IM deutlich niedriger ist als in anderen.
Dieser gebremste Unternehmergeist macht sich zudem bei anderen Wirtschaftsindikatoren bemerkbar: Die Arbeitslosigkeit ist in ehemaligen Stasi-Hochburgen höher, und auch der Bevölkerungsrückgang, unter dem fast alle Kreise in den neuen Bundesländern leiden, ist in Gebieten mit ehemals vielen Stasi-Informanten dramatischer.
Jahrzehnte der Überwachung bleiben also laut Studie nicht ohne langfristige Wirkungen. Vor allem die Bespitzelung durch die Mitbürger hat das Vertrauen der Menschen ineinander unterhöhlt. Und dies hat, wie viele andere Studien zeigen, negative Auswirkungen auf die Wirtschaftsleistung, selbst zwanzig Jahre nach der Wiedervereinigung.