Warum werden wirtschafts- oder sozialpolitische Reformen so selten in die Tat umgesetzt? In einem aktuellen IZA-Diskussionspapier gehen Christina Gathmann, Pierre Boyer und Andreas Bernecker dieser Frage am Beispiel der amerikanischen Sozialpolitik nach. Ihr Ergebnis: Gerade gestandene Politiker fürchten potenzielle Reputationsverluste, die mit innovativer Politik einhergehen können.
Die Studie nutzt eine Trendwende in der amerikanischen Sozialpolitik: 1996 erzielte die Abschaffung des Aid to Families with Dependent Children (AFDC) zugunsten des Temporary Assistance for Needy Families (TANF) eine Verlagerung der Verantwortlichkeit in der Sozialpolitik von Washington auf die Ebene der Bundesstaaten.
Gab es schon in den 80er und frühen 90er Jahren erste Experimente mit eigenen sozialpolitischen Programmen auf Bundesstaatsebene (im Rahmen von Sonderfreigaben, sogenannter Waivers), so konnten nun die Bundesstaaten innerhalb föderaler Richtlinien selbstständig über Sanktionen gegen Empfänger sozialstaatlicher Leistungen entscheiden.
Warum experimentieren manche Bundesstaaten schon früh ausgiebig mit eigenen Programmen (den sogenannten „Waivers“), andere dagegen nur wenig oder gar nicht? Und warum haben manche Bundesstaaten auch nach 1996 schneller und umfangreicher ihre eigenen staatlichen Programme implementiert als andere? Zur Beantwortung dieser Frage schauen sich die Autoren die politischen Rahmenbedingungen des Reformprozesses, und hier insbesondere die Rolle des Gouverneurs an.
Reformen sind oft mit großer Unsicherheit verbunden, ob diese unter den gegebenen lokalen Bedingungen auch erfolgreich sind. Ein Reformversuch, der nicht die erwünschten Erfolge erzielt, kann aber mit hohen Reputationsverlusten für den Gouverneur verbunden sein. Je höher nun die Beliebtheit des Gouverneurs bei den Wählern, desto höher sind die potenziellen Kosten, eine Reform mit unsicheren Erfolgsaussichten zu implementieren. Denn wenn die Reform nicht die erhofften Erträge liefert, schadet das der Reputation des Gouverneurs, was eine zukünftige Wiederwahl unwahrscheinlich macht. Dieser „Schatten der Zukunft“ führt dazu, dass gerade Gouverneure mit hoher Reputation zögern, eine risikoreiche Reform anzustoßen.
Empirische Unterstützung für ihre These finden die Autoren auch darin, dass dieser Effekt nur bei Gouverneuren auftritt, die tatsächlich wiedergewählt werden können. Bei einem Gouverneur mit hoher Reputation, dessen Amtszeit gesetzlich (durch ein sogenanntes term limit) begrenzt ist, findet sich diese zögerliche Haltung nicht. Durch eine Reihe weiterer empirischer Analysen zeigen die Wissenschaftler der Universitäten Heidelberg und Mannheim, dass der bremsende Effekt der Wiederwahl nicht durch andere Faktoren, wie Einfluss des Parlaments, ideologische Differenzen oder aber Lerneffekte zwischen Bundesstaaten erklärt werden können.
Der Wunsch nach Wiederwahl kann daher zu einem wichtigen Stolperstein für Reformen mit unsicheren Erfolgsaussichten werden, da gerade dann Politiker mit einer hohen Reputation bei den Wählern eine besonders geringe Risikobereitschaft haben – und damit am Ende politische Innovationen verhindern.