Die Arbeitswelt verändert sich aufgrund des rasanten technischen Fortschritts immer schneller. Digitalisierung und „Industrie 4.0“ werden dafür sorgen, dass die Flexibilisierung von Arbeitszeiten, Arbeitsorten und Arbeitsformen einen weiteren Schub bekommt. Intelligente Maschinen und Roboter sind in der Produktion auf dem Vormarsch. Das schafft neue Spielräume für die Verbindung von Arbeit und Freizeit, sorgt aber auch für neue Gestaltungsnotwendigkeiten. Insbesondere die Gewerkschaften sehen sich vor großen Herausforderungen hinsichtlich der Durchsetzung von Arbeitnehmerinteressen in einer variantenreichen Arbeitswelt.
Ein neuer IZA-Standpunkt von Werner Eichhorst, Holger Hinte, Alexander Spermann und Klaus F. Zimmermann benennt sechs zentrale Gestaltungsfelder, auf die die Gewerkschaften künftig ihren Fokus richten sollten. Neben der kreativen Regulierung von Arbeitszeiten sollte dabei die Modernisierung von Weiterbildungsangeboten im Zentrum stehen. Die Studie gelangt zu dem Ergebnis, dass die Rolle der Gewerkschaften als Korrektiv in der digitalen Arbeitswelt nicht geringer werden wird.
Über die Frage, wie die Gewerkschaften ihren Mitgestaltungsanspruch in einer unübersichtlicher werdenden Arbeitslandschaft erfolgreich durchsetzen können, diskutierten IZA-Direktor Zimmerman und der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB), Reiner Hoffmann, im Rahmen des 32. IZA Tower Talk am 20. August in Bonn.
Aufs Kerngeschäft besinnen, neue Zielgruppen gewinnen
Zimmermann verwies zu Beginn der Veranstaltung darauf, dass das „neue Denken“, das in den Veränderungen vor allem die Chancen für mehr Arbeitnehmersouveränität erkenne, auch in den Gewerkschaften noch stärker verinnerlicht werden müsse. Aktuelle Entwicklungen wie etwa den Trend zur Bedienung von Partikularinteressen von kleinen Einzelgewerkschaften sah Zimmermann vor diesem Hintergrund als „wenig hilfreich“ an. Für die Gewerkschaften komme es vor allem darauf an, ihren Organisationsgrad unter den Beschäftigten in neuen Arbeitsformen zu steigern und sich auf ihr „Kerngeschäft“ zu besinnen. Dazu seien neue Formen der Ansprache von Zielgruppen und gezielte Beratungsangebote und Dienstleistungen gerade auch für die wachsende Gruppe von „Arbeitnehmer-Selbstständigen“ gefragt.
In seinem Vortrag betonte der DGB-Vorsitzende, dass die Digitalisierung der Arbeitswelt nicht nur Jobs bedrohe, sondern zugleich viele neue Jobmöglichkeiten für Arbeitnehmer schaffe. Hoffmann nannte als eine zentrale Aufgabe der Gewerkschaften sicherzustellen, dass die Digitalisierung nicht allein gut qualifizierten Beschäftigten Vorteile bringe, sondern die Chancen und Produktivitätsfortschritte fair verteilt würden. Dazu seien insbesondere im (Weiter-)Bildungsbereich erhebliche Anstrengungen erforderlich. Hier verharre Deutschland auf dem „Stand eines Entwicklungslandes“.
Messung und Bewertung von Arbeitsleistung statt Arbeitszeiten
Flexible Arbeitszeiten auch im Hinblick auf Lebensarbeitszeitplanungen zu ermöglichen, sei für die Gewerkschaften längst kein Tabu mehr. Arbeitgeberforderungen nach einer Aufgabe des Acht-Stunden-Tages erteilte der DGB-Chef jedoch eine scharfe Absage. Die Interessen einer immer heterogeneren Arbeitnehmerschaft zu vertreten, werde für die Gewerkschaften zwar zusehends anspruchsvoller, doch seien sie dazu „gut aufgestellt“ und hätten zuletzt neben primär demografisch bedingten Verlusten auch beachtliche Zugewinne an Mitgliedern verzeichnen können. Hoffmann kritisierte, dass derzeit eher die Arbeitgeberseite einem offenen Reformdialog mit den Gewerkschaften ausweiche, äußerte sich aber auch kritisch zu den jüngsten Streiks in einzelnen Berufsgruppen.
In der von Kai Pfundt (General-Anzeiger Bonn) moderierten Diskussion plädierte Hoffmann dafür, nicht nur das technisch Machbare zu sehen, sondern die neuen Technologien so einzusetzen, dass sie „humane Arbeitsbedingungen“ schaffen. Darin liege die eigentliche Chance der Digitalisierung, nicht etwa in einem lediglich technologisch nochmals verschärften Anbieterwettbewerb, der die Beschäftigten aus dem Blick verliere.
Hoffmann und Zimmermann stimmten darin überein, dass es in Zukunft für die Betriebe immer weniger darauf ankomme, die Präsenz-Arbeitszeiten ihrer Beschäftigten als Leistungskriterium heranzuziehen, sondern outputorientierte Bewertungen und Entlohnungen in den Vordergrund rücken werden. Die Frage, auf welche Weise eine Arbeitsleistung angesichts von virtuellem Arbeiten, Team- und Projektarbeit objektiv gemessen werden könne, sei für die Gewerkschaften ein wichtiges Thema, so Hoffmann.
Wichtiges Korrektiv in der globalisierten, digitalisierten Arbeitswelt
Kontrovers wurde dagegen die Reichweite des „Mandats“ der Gewerkschaften diskutiert. Während Zimmermann einen zu starken allgemeinpolitischen Mitspracheanspruch der Gewerkschaften monierte und eine Konzentration auf die unmittelbar drängenden Zukunftsfragen der Arbeitswelt forderte, verwies Hoffmann darauf, dass gerade in einer flexiblen und globalisierten Arbeitswelt die Gewerkschaften national wie international ihr Themenfeld breit abstecken müssten.
Zum Abschluss der Diskussion betonte Zimmermann noch einmal die große Bedeutung der Gewerkschaften: „Sie sind als Korrektiv weiter wichtig und werden vor allem dann erfolgreich sein, wenn sie offen für Neues sind und den Wandel hin zur digitalen Arbeitswelt als Chance begreifen.“
Den weltweiten Stand der evidenzbasierten Forschung auf dem Gebiet des Arbeitsmarktes – für Entscheidungsträger lesbar aufbereitet – trägt das Online-Kompendium IZA World of Labor zusammen. Hier einige ausgewählte Artikel zu Gewerkschaftsthemen:
- Union wage effects (Alex Bryson)
- The consequences of trade union power erosion (John Addison)
- Wage compression and the gender pay gap (Larry Kahn)
- Effects of extending collective bargaining agreements (Ernesto Villanueva)
- Public-sector outsourcing (Panu Poutvaara)
- Do in-plant alliances foster employment? (Lutz Bellmann)
- Do works councils raise or lower firm productivity? (Olaf Hübler)