„Die Arbeitsmarktpolitik hat immer noch nicht von der „Kuchentheorie“ des Arbeitsmarktes Abschied genommen“, sagte Arbeitsmarktpolitikdirektor Alexander Spermann (IZA) im Rahmen der IZA-Konferenz „Welche Arbeitsmarktpolitik braucht Deutschland?“ in Berlin.
Aus dieser Logik heraus sind Ältere in den Vorruhestand (sie nehmen den Jungen die Arbeitsplätze weg) und Frauen an den Herd geschickt worden (sie nehmen Männern die Jobs weg). Migranten sollten vor der Tür bleiben (sie nehmen Inländern die Stellen weg). Die Rente mit 63, das Betreuungsgeld und die Vorrangprüfung bei der Beschäftigung von Nicht-EU-Bürgern seien Ausdruck dieses Kuchendenkens, so Spermann.
Der Kuchen kann größer werden
Dabei hat sich in den letzten 15 Jahren empirisch gezeigt, dass sowohl die Beschäftigung zunehmen als auch die Arbeitslosigkeit abnehmen kann, zumindest in Deutschland: Die Beschäftigungsquoten von älteren Erwerbstätigen und von Frauen sind gestiegen – und es ist im OECD-Vergleich noch Luft nach oben. Im letzten Jahr erreichte auch die Nettozuwanderung einen Rekordwert. Anders formuliert: Der Kuchen kann größer werden, betonte Spermann.
Der gesetzliche Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro je Stunde kann jedoch die Beschäftigungschancen von gering Qualifizierten zerstören – wenn nicht heute, dann morgen. Die Politik hat auf diese Sorgen von Arbeitsmarktökonomen reagiert: Ausnahmen für Praktika, eine zweijährige Übergangsphase und die gesetzliche Verpflichtung zur Evaluation sind in das Gesetz aufgenommen worden. „Das Mahnen der Ökonomen hatte durchaus Konsequenzen bei der Ausgestaltung des Mindestlohngesetzes“, meinte Spermann.
Flüchtlinge integrieren ohne Ausnahmen vom Mindestlohn
Aber es gibt auch Lichtblicke: Vor einem Jahr wurde das Arbeitsverbot für Asylbewerber von neun auf drei Monate verkürzt – und damit entstand überhaupt erst die Voraussetzung, um über die schnelle Integration von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt nachzudenken.
Eine Ausnahme vom gesetzlichen Mindestlohn für Flüchtlinge sei jedoch nicht zielführend. Zum einen wird die bestehende Ausnahme für Langzeitarbeitslose derzeit kaum genutzt, vermutlich, weil Unternehmen nicht als unfaire Arbeitgeber wahrgenommen werden wollen. Zum anderen existieren bereits Ausnahmen vom Mindestlohn für Orientierungspraktika bis zu drei Monaten und Langzeitpraktika bis zu einem Jahr im Rahmen der Einstiegsqualifizierung, wie Spermann gegenüber dem SPIEGEL (Ausgabe Nr. 49/2015, 28.11.2015) betonte. Zum dritten können Unternehmen zeitlich befristete Eingliederungszuschüsse bei der Einstellung von Flüchtlingen mit Vermittlungshemmnissen beantragen, um Produktivitätsnachteile auszugleichen.
Vorsorge ist besser als Nachsorge
Die passive Arbeitsmarktpolitik hilft erst, wenn der Schaden bereits eingetreten ist: Arbeitslosengeld gibt es bei Arbeitslosigkeit, Leistungen der Grundsicherung (Hartz IV) gibt es bei Langzeitarbeitslosigkeit bzw. bei Bedürftigkeit. Die aktive Arbeitsmarktpolitik setzt in der Regel erst ein, wenn Anspruch auf Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II und/oder III besteht. Präventionselemente wie die Weiterbildung von Erwerbstätigen stehen zwar teilweise zur Verfügung, doch sind sie die berühmten Tropfen auf den heißen Stein
Arbeitsmarktpolitik reagiert in der Regel zu spät. Präventive Arbeitsmarktpolitik setzt früher an und ist eng mit Bildungspolitik verknüpft. Präventive Arbeitsmarktpolitik ist keine Privatsache, aber auch nicht ausschließliche Sache des Staates. Auch die Tarifparteien und die Zivilgesellschaft müssen mit ins Boot.
Lebenslanges Lernen beginnt mit der Geburt
Als Kernelement einer präventiven Arbeitsmarktpolitik schlug Spermann ein Weiterbildungsgeld vor (siehe auch Süddeutsche Zeitung, 26.11.2015). Es soll für alle Neugeborenen zusammen mit dem Kindergeld ausgezahlt werden, 10 Euro je Monat betragen und mit einer jährlichen Nachweispflicht bei der Steuererklärung bzw. beim Leistungsbezug verbunden sein. Die fiskalischen Kosten 2016 würden unter 50 Millionen Euro liegen.
Mit dem Weiterbildungsgeld ist die Botschaft verbunden: „Lifelong learning“ beginnt mit der Geburt. Die Mittel dürfen frei für Bildung/Weiterbildung verwendet werden (z.B. Kinderbücher). Bei Nichtverwendung reduziert sich die Kindergeldauszahlung im Folgejahr um 10 Euro je Monat. „Das Weiterbildungsgeld ist kein Allheilmittel, sondern ein klares Signal für die Notwendigkeit, ein Leben lang zu lernen“, meinte Spermann.