Der rationale Mensch weiß, was gut für ihn ist und handelt entsprechend – so postuliert es zumindest die klassische ökonomische Theorie. Eine wachsende Anzahl von Studien aus dem Bereich der Verhaltensökonomik belegen jedoch, dass dies in der Praxis nicht immer der Fall ist. Dass diese akademischen Studien auch einen hohen praktischen Nutzen haben können, hat zwischenzeitlich auch die Politik erkannt. Nachdem bereits mehrere Regierungen Europas und Nordamerikas von Experten aus der Psychologie und Verhaltensökonomik beraten werden, hat jüngst auch im Berliner Bundeskanzleramt eine Expertengruppe damit begonnen, im Rahmen der Initiative „wirksam Regieren“ verhaltenswissenschaftlich fundierte Politikinstrumente zu entwickeln und empirisch zu testen.
Ein aktuelles Beispiel für eine praxis-orientierte verhaltensökonomische Studie ist das folgende Experiment der Ökonomen Steffen Altmann und Christian Traxler. Der regelmäßige Besuch der zahnärztlichen Vorsorgeuntersuchung sollte im Interesse eines jeden gesundheitsbewussten Menschen sein. Allzuoft jedoch wird er vergessen oder zumindest vertagt.
Kann man Menschen dabei helfen kann, diese Nachlässigkeit zu überwinden? Anstatt sich dabei auf wirtschaftliche Anreize zu verlassen – wie das beispielsweise die gesetzlichen Krankenkassen mit dem „Bonusheft“ oder ähnlichen Regelungen zur Erstattung von Behandlungskosten tun – untersuchten die beiden Wissenschaftler die Wirkung von einfachen Erinnerungsnachrichten. Im Gegensatz zu wirtschaftlichen Anreizen oder anderen „harten“ Interventionen haben solche Nachrichten den Vorteil, dass sie nachlässigen Patienten einen kleinen Anstoß zur Planung ihrer Vorsorgetermine geben können, während sie gleichzeitig Entscheidungsfreiheit für all diejenigen gewährleisten, die sich ganz bewusst dafür entscheiden, ihren nächsten Vorsorgetermin aufzuschieben – beispielsweise da sie wissen, dass sie besonders gute Zähne haben.
Um die Wirkung der Gedankenstütze zu untersuchen, kooperierten die Forscher mit einer Bonner Zahnarztpraxis. Fortan bekam ein zufällig ausgewählter Teil der Patienten eine Erinnerungspostkarte zugesandt, sobald der nächste Kontrolltermin vereinbart werden sollte. Die übrigen Patienten erhielten hingegen keine Nachricht. Innerhalb eines Monats nach Erhalt der Nachricht hatten bereits mehr als doppelt so viele Patienten einen Vorsorgetermin vereinbart als in der Gruppe der nicht erinnerten Patienten (19 vs. 9%). Der Zuwachs an Vorsorgeuntersuchungen rührte dabei nicht nur vom „Vorziehen“ ohnehin geplanter Termine: Selbst 100 Tage nach Versand der Nachrichten war der Erinnerungseffekt noch deutlich sichtbar . Dabei spielte es keine Rolle, ob die Postkarte eine bloße Notiz war oder zusätzliche Informationen zum gesundheitlichen Nutzen von Kontrollterminen beinhaltete. Auch nach mehrmaliger Anwendung verloren die Erinnerungsnachrichten nicht ihre Wirkung. So war der Effekt einer erneuten Erinnerung annähernd gleich stark, als ein halbes Jahr später der nächste Vorsorgetermin geplant werden sollte. Dies zeigt, dass die Nachrichten ein probates Mittel sein können, um regelmäßige Vorsorge zu fördern.
Das Zahnarzt-Beispiel belegt einmal mehr, dass leichte Anstöße eine simple und kostengünstige Möglichkeit darstellen, Verhalten zu verändern. Dass sich die Patienten durch den Erhalt der Erinnerungsnachrichten nicht „gegängelt“ fühlen, zeigt eine ergänzende Umfrage der Autoren unter bundesweit 3.000 Teilnehmern. So gaben unter den Befragten, die von ihrem eigenen Zahnarzt keine Erinnerungsnachrichten erhielten, annähernd 70% an, dass sie die Einführung eines solchen Systems begrüßen würden. Unter den Befragungsteilnehmern, deren Arzt bereits ein Erinnerungssystem eingeführt hatte, empfanden sogar 94% der Befragten den regelmäßigen Erhalt der Nachrichten als nützlich für ihre Zahnvorsorge.