Maßnahmen gegen die Langzeitarbeitslosigkeit stehen in diesem Jahr auf der Agenda der EU, aber auch in Deutschland rückt das Thema zunehmend ins Zentrum der arbeitsmarktpolitischen Diskussion. Was können wir in diesem Zusammenhang aus dem Ländervergleich lernen, und welche Rolle kann die EU selbst dabei spielen? Diesen Fragen geht eine aktuelle IZA-Studie von Werner Eichhorst, Franziska Neder, Verena Tobsch und Florian Wozny nach.
Eine Bewertung des Erfolgs einzelner Länder bei der Reduzierung von Langzeitarbeitslosigkeit lässt sich nicht mit einfachen Kennzahlen vornehmen, sondern muss mehrere Dimensionen in den Blick nehmen. Zwar hat Deutschland vergleichsweise wenige Langzeitarbeitslose, wenn man ihren Anteil an allen Erwerbspersonen betrachtet, jedoch ist der Anteil Langzeitarbeitsloser an allen Arbeitslosen recht hoch.
Konjunkturelle Lage für Bewertung von Arbeitslosigkeit entscheidend
Dies kann zum einen dadurch erklärt werden, dass eine kontinuierlich steigende Arbeitsnachfrage, wie sie seit Jahren in Deutschland zu beobachten ist, fast zwangsläufig zu einer Erhöhung des Anteils der Langzeitarbeitslosen an allen Arbeitslosen führt, da Kurzzeitarbeitslose oftmals weniger Vermittlungshemmnisse aufweisen und sie deshalb bei steigender Arbeitsnachfrage bevorzugt eingestellt werden. Die konjunkturelle Lage eines Landes spielt deshalb in der Bewertung von Langzeitarbeitslosigkeit eine entscheidende Rolle.
Der relativ hohe Anteil von Langzeitarbeitslosen in Deutschland kann aber auch dadurch erklärt werden, dass die Erwerbsfähigkeit in Deutschland weiter gefasst wird als in anderen Ländern und der Zugang zu anderen Sozialleistungen hierzulande weniger als anderswo für ein „Verstecken“ von (Langzeit-)Arbeitslosigkeit genutzt wird, etwa in Erwerbsunfähigkeitsrenten, längerfristigem Bezug von Krankengeld oder Vorruhestandsleistungen.
Damit befinden sich in der Langzeitarbeitslosigkeit in Deutschland auch arbeitsmarktfernere Gruppen, die jedoch prinzipiell dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen sollen und deshalb leichter über die Instrumente der Arbeitsmarktpolitik erreicht werden können als wenn sie sich in anderen Sozialleistungssystemen befänden.
Vergleichbarkeit von Arbeitslosigkeit erhöhen
Ein klareres Bild liefert deshalb die nachfolgende Abbildung zur Beschäftigung und Arbeitslosigkeit im Jahr 2013 in Europa. Hierbei werden sowohl klassische langzeitarbeitslose als auch langzeitinaktive Personen (mit Erwerbsunfähigkeitsrenten, längerfristigem Bezug von Krankengeld oder Vorruhestandsleistungen) erfasst. Dadurch wird die Vergleichbarkeit zwischen den Ländern erhöht.
Es zeigt sich, dass der Anteil der langzeitarbeitslosen und inaktiven Personen in Deutschland im Jahr 2013 mit rund 17 Prozent zu den niedrigsten in Europa gehört. Dies ist auch deshalb bemerkenswert, weil die Frauenerwerbsquote in Deutschland traditionell niedrig ist. Ein Blick auf Schweden verdeutlicht jedoch, wie viel Potenzial noch immer in der langzeitarbeitslosen bzw. inaktiven Bevölkerung steckt. Lediglich 11,5 Prozent der Erwerbsbevölkerung gilt dort als langzeitarbeitslos oder langzeitinaktiv.
Im völligen Kontrast hierzu stehen die Zahlen aus Spanien, Italien und im besonderen Griechenland. Während in Spanien rund 27 Prozent seit mindestens einem Jahr nicht mehr beschäftigt waren, waren es in Italien bereits 31 Prozent und in Griechenland 39 Prozent.
Individuelle Situation verstehen, Förderprogramme realisieren
Der internationale Vergleich zeigt, dass es keine einfache arbeitsmarktpolitische Lösung für Personen mit größeren Vermittlungshemmnissen gibt, sondern dass es vor allem darauf ankommt, durch intensive und konstruktive Betreuung und Unterstützung die jeweilige individuelle Situation zu verstehen und geeignete Förderprogramme zu realisieren.
Das jeweilige Bündel ist also entscheidend, nicht der massive Einsatz einzelner Instrumente. Gleichzeitig gibt es aber auch Belege dafür, dass gerade Langzeitarbeitslosigkeit mittelfristig von einem gezielten Einsatz arbeitsmarktpolitischer Programme profitieren, nicht zuletzt vom Erwerb oder der Erneuerung beruflicher Qualifizierung.
Europäische Union und Deutschland müssen Kapazitäten aufbauen
Eine zentrale Rolle spielt weiterhin die Häufigkeit, Intensität und Qualität von Gesprächen mit den Fallmanagern. Damit sind eine ausreichende Personalausstattung, eine gute Qualifizierung und ausreichende Handlungsspielräume für diese Akteure entscheidend. In Staaten mit hoher Langzeitarbeitslosigkeit muss also insbesondere am Aufbau solcher Kapazitäten gearbeitet werden, neben der Entwicklung innovativer und wirksamer Instrumentenbündel.
Die EU kann über den Europäischen Sozialfonds zur Lösung dieser Herausforderungen beitragen. Auch in Deutschland sollten die Ressourcen gezielt in Maßnahmen für die Zielgruppe der Langzeitarbeitslosen investiert werden.
Klare Differenzierung notwendig
Es zeigt sich aber auch, dass klar zwischen Ländern differenziert werden muss, in denen die Nichtbeschäftigung zu einem Massenphänomen geworden ist wie in Griechenland und Ländern wie Deutschland. Während die Qualifizierung in Deutschland eine enorme Rolle spielt, ist sie in Ländern wie Griechenland weniger von Bedeutung, da bereits viele hochqualifizierte unter den Langzeitnichterwerbstätigen sind. In diesen Ländern geht es zunächst einmal darum, eine entsprechende Arbeitsnachfrage zu generieren.
Lesen Sie dazu auch den Artikel in der WELT (14.09.2015):