Einst „kranker Mann Europas“, heute der Star unter den großen Volkswirtschaften: Der deutsche Arbeitsmarkt glänzt mit den besten Zahlen seit Jahrzehnten. Welchen Anteil die Hartz-Reformen am „deutschen Arbeitsmarktwunder“ haben, ist jedoch nicht nur in der Politik, sondern auch unter Ökonomen umstritten. Manche halten ihn für maßgeblich, andere für maßlos überbewertet.
Ohne Ideologie und Emotionen sei diese Frage tatsächlich schwer zu beantworten, meint IZA-Fellow Michael C. Burda (Humboldt-Universität zu Berlin). „Zum einen ist streng kausale Evidenz fast unmöglich zu erzeugen. Zum anderen gibt es mehrere alternative Narrative, die auch plausibel erscheinen.“
Gemeinsam mit seiner Koautorin Stefanie Seele hat Burda daher die Rolle der Hartz-Reformen für die Beschäftigungserfolge auf dem deutschen Arbeitsmarkt analysiert. Die daraus resultierende Studie ist jetzt in der Reihe „IZA Standpunkte“ erschienen und wird in Kürze im Fachjournal Perspektiven der Wirtschaftspolitik veröffentlicht.
Die Autoren stellen zunächst fest: Bezogen auf Erwerbsbeteiligungs-, Beschäftigten- oder Arbeitslosenquoten verlief der Arbeitsmarkt im vereinten Deutschland noch nie so gut wie im Jahr 2017. Dies gelte vor allem für Frauen, Ältere und Menschen in den neuen Bundesländern. Trotz des massiven Abschwungs im Zuge der Wirtschaftskrise 2008/2009 habe sich die deutsche Arbeitsmarktverfassung als bemerkenswert robust und anpassungsfähig erwiesen.
Starke Lohnspreizung, aber Ungleichheit der Haushaltseinkommen stabil
Als Preis des Arbeitsmarktwunders wird jedoch häufig die starke Lohnspreizung angeführt, insbesondere durch die Beschäftigungszunahme im unteren Lohnbereich und bei der Teilzeitarbeit. Die Autoren bestätigen, dass die Bedeutung des unteren Lohnsegments zwischen 2003 und 2010 massiv anstiegen ist. Dies gelte insbesondere für Stundenlöhne im Teilzeitbereich. Die Ungleichheit der Haushaltseinkommen nach Steuern und Transfers habe sich seit 2003 aber als stabil erwiesen.
Die nachhaltigen Beschäftigungserfolge, die weit über die üblichen konjunkturellen Schwankungen hinausgehen, werden mit mehreren Ursachen in Verbindung gebracht. Dazu zählen eine gemäßigte und beschäftigungskonforme Lohnentwicklung, die ertragsschwache Unternehmen vor geschmälerten Gewinnen oder Entlassungen bewahren sollte, eine günstige Lage der Weltnachfrage nach deutschen Produkten mit entsprechendem Außenhandelsüberschuss, aber auch die angebotsaktivierende Wirkung der Arbeitsmarktreformen im Rahmen der Agenda 2010.
Dass die Erholung auf dem Arbeitsmarkt selbst der großen Rezession nach der globalen Finanzkrise getrotzt habe, deute auf eine zentrale Rolle der Hartz-Reformen hin, so die Autoren. Empirisch belegen sie die Hypothese, die Lohnmoderation der Tarifparteien sei eine „notwendige, jedoch nicht hinreichende Bedingung“ für den Erfolg des deutschen Arbeitsmarktes seit 2005. Auch wenn die demographische Entwicklung zum Anstieg der Erwerbs- und Erwerbstätigenquoten beigetragen habe, fällt die Aktivierung von Erwerbsfähigen stärker ins Gewicht, gerade bei der Teilzeitbeschäftigung in Westdeutschland.
Insbesondere die Reform der Arbeitslosenunterstützung habe zwar einerseits die Zunahme des unteren Lohnsegments erst ermöglicht, andererseits aber eben auch den Anstieg der sozialversicherungspflichtigen Teil- und Vollzeitarbeit. Die starken Rückgänge der Realstundenlöhne ab 2004 zeigten den entscheidenden Einfluss des Arbeitsangebots auf das „Arbeitsmarktwunder“ in Deutschland. „Ein Rückbau der Reformen könnte diesen Erfolg gefährden“, befürchten die Autoren.