Frauen sind auf der Führungsetage seltener vertreten und verdienen weniger als Männer, weil sie allgemein das Risiko scheuen, leistungsabhängige Entlohnung tendenziell ablehnen, weniger offensiv in Gehaltsverhandlungen gehen und sich im Wettbewerb mit Männern eher zurücknehmen. Diesen klassischen ökonomischen Erklärungsansatz entlarven fünf aktuelle IZA-Publikationen – zumindest teilweise – als Mythos.
Die sprichwörtliche weibliche Risikoscheu werde überbewertet, resümiert Antonio Filippin, der in einem Artikel für die IZA World of Labor die Ergebnisse diverser experimenteller Studien auswertet. Ob sich überhaupt Geschlechterunterschiede in der Risikobereitschaft nachweisen ließen, hänge stark von der gewählten Untersuchungsmethode ab. Jedenfalls seien sie als allgemeingültige Erklärung für den geringen Frauenanteil in leitenden Positionen ungeeignet, so der Mailänder Ökonom.
Mehr Geld? Pustekuchen!
Auch das Lohngefälle zwischen den Geschlechtern lässt sich laut einer aktuellen Studie von Benjamin Artz, Amanda H. Goodall und Andrew J. Oswald nicht damit erklären, dass Frauen mit der Forderung nach Gehaltserhöhung zurückhaltender sind, etwa weil sie ihr gutes Verhältnis zu Vorgesetzten und Kollegen nicht belasten wollen.
Anhand repräsentativer australischer Umfragedaten konnte das britisch-amerikanische Forscherteam zeigen: In vergleichbaren beruflichen Positionen mit gleicher Stundenzahl bemühten sich Frauen im Erhebungszeitraum (2013-2014) ebenso häufig um eine Gehaltserhöhung wie Männer. Doch die Erfolgswahrscheinlichkeit war bei den männlichen Beschäftigten um 25 Prozent höher.
Über die Studie Do Women Ask? (IZA DP No. 10183) haben internationale Medien wie New York Times und BBC berichtet.
Voll auf Risiko
Ganz von der Hand zu weisen sind Unterschiede im Risikoverhalten dennoch nicht: Eine Auswertung von Leistungsdaten aus den Playoffs der US-Basketballligen NBA (Männer) und WNBA (Frauen) zeigt, dass die männlichen Spieler kurz vor Spielschluss ihre Risikofreude steigerten, wenn eine besonders riskante Strategie noch zum Erfolg führen konnte. Im Gegensatz dazu ging die Risikobereitschaft der weiblichen Basketball-Profis in der gleichen Situation sogar zurück. Je weniger Zeit noch auf der Uhr, desto größer die Lücke zwischen den Geschlechtern.
Mit erhöhtem Einsatz
Wenn die Geschlechter jedoch nicht untereinander, sondern gegeneinander konkurrieren, kann das Bild schon wieder anders aussehen. Eine Analyse von 4.279 Ausgaben der US-Quizshow Jeopardy! ergab, dass die Risikobereitschaft von Frauen zunahm, wenn sie gegen Männer antraten. Das galt sowohl für die Antwortwahrscheinlichkeit als auch für die Höhe des Einsatzes – obwohl Frauen gerade beim Spielen um Geld als risikoscheu gelten. Die Risikobereitschaft sei also offenbar nicht angeboren, sondern abhängig vom sozialen Kontext, folgern die Autoren.
Laufend überholt
Bleibt ein drittes Szenario: Frauen treten mit Männern im gleichen Wettbewerb an, konkurrieren aber nicht direkt miteinander – wie zum Beispiel beim New York Marathon. Die Forschungsfrage einer gestern erschienenen Studie lautet daher: Wie reagieren Frauen, wenn sie von Männern überholt werden? Tatsächlich ergaben die Laufdaten, dass weniger leistungsstarke Athletinnen ihre Schrittfrequenz leicht reduzierten, sobald der erste Mann an ihnen vorbeigezogen war. Insgesamt zeigte sich jedoch, dass sich die Läuferinnen von schnelleren Männern weder beflügeln noch demoralisieren ließen.
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Im Online-Kompendium IZA World of Labor finden Sie eine Vielzahl weiterer Artikel zum Themenkomplex „Gender Gap“ und Frauen auf dem Arbeitsmarkt.