Die Hoffnung, dass sich im Zuge technologischer und wirtschaftlicher Entwicklung auch die Situation von Frauen verbessern würde, hat sich in vielen Entwicklungsländern nicht erfüllt. In einem aktuellen IZA-Forschungspapier geht Alina Sorgner auf Ursachensuche und fasst den Stand der Wissenschaft zur Gleichberechtigung im Kontext der Industrialisierung von Entwicklungsländern zusammen. Dabei liefert sie neben einer historischen Perspektive auch neue empirische Befunde aus der jüngeren Vergangenheit und Ausblicke auf künftige Herausforderungen durch aktuelle Trends der Wirtschafts- und Arbeitswelt.
Eine zentrale Erkenntnis der Studie ist, dass sich die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern sehr stark regional unterscheidet und tief in vorindustriellen Bedingungen verwurzelt ist, so dass sie selbst längere Entwicklungsphasen überdauert. Politikmaßnahmen zur Förderung der Chancengleichheit müssten daher nach Einschätzung der Autorin viel stärker als bisher regional differenziert und längerfristig ausgerichtet sein.
Zudem hat offenbar die Geschwindigkeit der Industrialisierung großen Einfluss auf die Entwicklung der Geschlechtergerechtigkeit: Je schneller die wirtschaftliche Transformation, desto geringer die Fortschritte beim Abbau von Ungleichheiten. Dieses Ergebnis ist nur teilweise darauf zurückzuführen, dass Länder, die mit hohem Tempo industrialisieren, einen insgesamt geringeren wirtschaftlichen Entwicklungsstand aufweisen. Vielmehr hängt dieser Zusammenhang stark von der regionalen Wirtschaftsstruktur ab. Beispielsweise ist die Erwerbsbeteiligung von Frauen in Regionen mit starker Textilindustrie relativ hoch und in Bergbauregionen umso geringer.
Gezielte Bildungsprogramme für Frauen zur Überwindung der digitalen Kluft
Die technologische Aufrüstung arbeitsintensiver Sektoren wie der Textilindustrie führt nun dazu, dass die Chancen für Frauen in diesen Bereichen zunehmend schwinden. Erschwerend kommt hinzu, dass gerade die Fähigkeiten, die Arbeitskräfte vor Verdrängung durch Maschinen und digitale Technologien auch außerhalb der industriellen Fertigung schützen, bei Frauen in Entwicklungsländern deutlich schwächer ausgeprägt sind als bei Männern. Dazu zählen vor allem IT-Kenntnisse, aber auch analytische und verschiedene nicht-kognitive Fähigkeiten.
Durch gezielte Bildungsoffensiven speziell für Frauen müsse die Politik daher vordringlich die „digitale Kluft“ zwischen den Geschlechtern schließen, fordert die Ökonomin. Darüber hinaus brauche es mehr Maßnahmen zur Karriereförderung, um die Aussichten von Frauen auf Führungspositionen zu verbessern.
Neben der digitalen Transformation der Industrie kommt es in einigen Ländern außerdem bereits zur „vorzeitigen Deindustrialisierung“ auf vergleichsweise geringem Entwicklungsniveau. Dadurch dürfte nicht nur der Frauenanteil in der Fertigung weiter sinken, sondern es könnten weitere soziale Ungleichheiten entstehen, etwa durch die zunehmende „Aushöhlung“ der Mittelschicht. Diese Trends müsse die Politik zur Frauenförderung besonders im Blick haben, um rechtzeitig gegensteuern zu können, so die Studienautorin.