Die Einstellungen der Menschen zu Umverteilungsfragen hängen davon ab, worin sie die Ursachen sozialer und wirtschaftlicher Ungleichheit sehen. Wer individuellen Erfolg primär als Resultat eigener Anstrengungen sieht, wird Umverteilung eher skeptisch beurteilen. Wer hingegen davon ausgeht, dass glückliche äußere Umstände maßgeblich für persönlichen Wohlstand sind, dürfte Umverteilungsmaßnahmen eher befürworten.
Natürliches „Experiment“
Dass sich die Einstellungen zur Umverteilung durch „externe Schocks“ verändern können, belegen die italienischen Ökonomen Giovanni Gualtieri, Marcella Nicolini und Fabio Sabatini in einem aktuellen IZA-Forschungspapier am Beispiel einer Erdbebenserie in Mittelitalien. Einem ersten starken Beben in der Abruzzen-Stadt L’Aquila am 6. April 2009 folgten Dutzende von Nachbeben, von denen sieben eine ähnlich zerstörerische Wirkung hatten wie das erste.
Die Autoren analysierten Umfragedaten zu individuellen Meinungen und Überzeugungen zwei Jahre nach den Beben. Anhand von detaillierten Daten zur sogenannten Spitzenbodenbeschleunigung (PGA, Peak ground acceleration) konnten sie ermitteln, in welchem Ausmaß die jeweiligen Befragten den Erdbeben ausgesetzt waren.
Dabei fanden die Forscher einen direkten Zusammenhang zwischen der Intensität der registrierten Erschütterungen und der Überzeugung, dass Ungleichheiten in der Gesellschaft durch staatliche Umverteilung ausgeglichen werden sollten. Zu einer signifikanten Veränderung der sozialen Präferenzen kam es zwar erst nach mehrfachen „Schock-Erfahrungen“ dieser Art, doch die Größenordnung des Effekts ist durchaus bemerkenswert: Statistisch entspricht er etwa dem Einfluss der politischen Orientierung auf die Umverteilungspräferenzen.
Erheblicher Effekt
Den Autoren zufolge könne ein besseres Verständnis der Motive für Umverteilungsforderungen dazu beitragen, dem Erstarken des Populismus wirksamer zu begegnen. Nach ihrer Einschätzung sprechen die Ergebnisse der Studie dafür, dass Forderungen nach mehr Umverteilung nicht nur durch Eigennutz, sondern durch ernsthafte Zweifel an gesellschaftlicher Fairness getrieben sind.