Geduld ist ein Charakterzug mit Auswirkungen auf viele Lebensbereiche. Auch Ökonomen untersuchen daher neben Forschern anderer Disziplinen, wie Geduld in intertemporalen Entscheidungen – also die Neigung, „mehr Ertrag morgen“ gegenüber „weniger Ertrag heute“ vorzuziehen – mit Gesundheit und Wohlstand zusammenhängen.
Die Forschung zeigt: Geduldige Erwachsene bringen im Job bessere Leistungen, behalten ihre Stelle länger, überziehen Kreditkarten weniger stark und rauchen seltener. Bei Jugendlichen geht Geduld mit besseren schulischen Leistungen und einem gesünderen Lebensstil einher. Langzeitstudien haben eindrucksvoll belegt, dass sich ein hohes Maß an Geduld bei Kindern im späteren Leben auszahlt – durch höheren Bildungsstand, mehr Einkommen, bessere Gesundheit (weniger Fettleibigkeit, Alkoholismus und Tabakkonsum) und geringere Kriminalitätsraten.
Was hat Sprache damit zu tun?
Nach der von Keith Chen entwickelten „linguistic savings“-Hypothese rufen Sprachen, die Futur und Präsens grammatikalisch klar unterscheiden, weniger zukunftsorientiertes Verhalten hervor als solche, in denen Präsens anstelle des Futurs gebräuchlich ist. So ist etwa in der englischen Sprache die Futur-Form für zukünftige Ereignisse verpflichtend. Ein Beispiel: Es muss heißen „tomorrow it will rain“ (nicht „tomorrow it rains“), während im Deutschen die Formulierung „morgen regnet es“ gebräuchlich ist.
Durch den Verzicht auf die Futur-Form rückt die Zukunft näher an die Gegenwart. Wenn somit das Eintreten zukünftiger Ereignisse sicherer erscheint, sollte zukunftsorientiertes Verhalten an Attraktivität gewinnen. Der grammatikalische Unterschied könnte also ökonomisches Verhalten insbesondere dann beeinflussen, wenn es um Entscheidungen mit intertemporalen Konsequenzen geht.
Experiment mit Südtiroler Grundschülern
Ein Verhaltensexperiment von IZA-Fellow Matthias Sutter (Universität Köln), Silvia Angerer (IHS Kärnten), Daniela Glätzle-Rützler (Universität Innsbruck) und Philipp Lergetporer (ifo-Institut) stützt diese Hypothese. Durchgeführt wurde das Experiment mit Grundschülern im norditalienischen Meran, dessen rund 38,000 Einwohner jeweils zur Hälfte deutsch- bzw. italienischsprachig sind. Beide Sprachgruppen leben Tür an Tür, aber die Schulen mit gleichem Einzugsgebiet sind nach Sprachen getrennt.
Aufgrund dieser Besonderheit konnten die Forscher 860 Kinder im Alter von 6 bis 11 Jahren untersuchen, die bis auf die Sprache in vergleichbaren „Verhältnissen“ aufwachsen. In dem Experiment analysierten sie die Zeitpräferenzen der Kinder anhand von simplen Entscheidungen: Die Kinder konnten wählen, wenige kleine Geschenke sofort oder eine größere Anzahl an Geschenken in wenigen Wochen zu erhalten.
Deutsche Sprache regt eher zu Geduld an
Die Ergebnisse zeigen, dass deutschsprachige Kinder deutlich geduldiger sind als ihre italienischsprachigen Altersgenossen: Sie sind eher bereit, für mehr Geschenke länger zu warten. Bereits im Alter von sechs Jahren lässt sich ein klarer Unterschied beobachten, der sich über alle Altersgruppen hinweg fortsetzt (siehe Abbildung).
Die Autoren können ausschließen, dass dieser Befund auf den soziodemografischen Hintergrund der Kinder oder Unterschiede bei Intelligenz und Risikoeinstellungen zurückzuführen ist. Besonders bemerkenswert: Kinder, in deren Haushalt beide Sprachen gesprochen werden, liegen auf der „Geduld-Skala“ genau zwischen den beiden einsprachigen Gruppen.
Geduld trainieren: Zukunftsorientierte Entscheidungsfindung stärken
Wie aber lassen sich solche scheinbar sprachlich bedingten „Geduldsdefizite“ abbauen? Neuere Studien aus der Verhaltensökonomik legen drei mögliche Ansatzpunkte zur Förderung zukunftsorientierten Verhaltens nahe: das Setzen geeigneter Standards („Defaults“) für Entscheidungen, das Bestärken einer aktiven Entscheidungsfindung (durch möglichst transparente Gestaltung von Wahlmöglichkeiten und das Erzwingen von Entscheidungen) oder die Einführung von verbindlichen Selbstverpflichtungen.
Künftige Studien könnten untersuchen, ob diese Instrumente in verschiedenen Sprachgruppen gleich gut funktionieren und wie sie genutzt werden können, um Kinder in Geduld zu trainieren. Mit Blick auf den nachweislich langfristigen Nutzen von Geduld könnten Individuen und Gesellschaft gleichermaßen davon profitieren.