In Zeiten, in denen sich viel verdienen lässt, arbeiten Menschen kaum mehr als in anderen Zeiten. Reagieren wir also nur schwach auf Lohnanreize? Das hätte wichtige Konsequenzen für die Wirtschaftspolitik. So wäre es nur sehr begrenzt möglich, Menschen über Steuersenkungen zu Mehrarbeit zu bewegen. Staatliche Konjunkturpakete verliefen weitgehend im Sande, wenn Unternehmen ihre Produktion trotz höherer Nachfrage nicht ankurbeln könnten, weil sie mit erhöhten Löhnen keine wesentliche Steigerung der geleisteten Arbeitsstunden bewirken können.
Gegen diese Sicht sprechen jedoch eine Reihe von Argumenten. Progressive Steuersysteme oder das Streben nach Beförderungen können den gemessenen Zusammenhang zwischen Arbeitsstunden und Bezahlung schwächen, selbst wenn Arbeitnehmende grundsätzlich bereit sind, für mehr Geld auch mehr zu arbeiten. Ein aktuelles IZA-Diskussionspapier von Christian Bredemeier, Jan Gravert und Falko Jüßen weist auf einen weiteren Grund hin: Veränderungen des eigenen Einkommens verändern das Gleichgewicht der Kräfte in der Familie und führen zu neuen Entscheidungen, wieviel die einzelnen Familienmitglieder arbeiten.
Die Studie baut auf einer umfangreichen wissenschaftlichen Literatur auf, die nachgewiesen hat, dass Familien auf einen bestimmten Betrag an Einkommen unterschiedlich reagieren, je nachdem, welches Familienmitglied diesen Betrag verdient hat. Einkommensveränderungen eines Familienmitglieds scheinen sich auf dessen Einfluss in der innerfamiliären Entscheidungsfindung auszuwirken. Ein Karriererückschritt etwa führt tendenziell dazu, dass man in der Familie weniger zu sagen hat. Man kann dann versuchen, seine alte Position im sprichwörtlichen „Familienrat“ wiederherzustellen, etwa indem man (bezahlte) Überstunden macht, auf die man als Single eher verzichten würde.
Konsum gibt Aufschluss über Einfluss in der Familie
Die Forscher entwickeln eine statistische Methode, wie die durch Lohnänderungen bewirkten Änderungen der innerfamiliären Verhandlungspositionen herausgerechnet werden können, wenn man die Bereitschaft von Arbeitnehmenden messen möchte, bei besserer Bezahlung mehr zu arbeiten. Die Methode nutzt Informationen zum Konsumverhalten der jeweiligen Familie, also welche Produkte und Dienstleistungen gekauft werden. Diese Daten lassen Rückschlüsse zu, welches Familienmitglied gerade großen Einfluss auf die Entscheidungen der Familie nimmt.
Der Studie zufolge sind Arbeitnehmer bereit, etwa sieben Prozent mehr zu arbeiten, wenn ihr Verdienst pro Stunde zehn Prozent höher ist. Das entspricht für einen Arbeitnehmer in Vollzeit knapp drei (bezahlten) Überstunden pro Woche. Diese Zahl ist deutlich größer als die Ergebnisse der meisten vorangegangenen Studien, die die Wirkungen von Lohnänderungen auf innerfamiliäre Verhandlungspositionen nicht berücksichtigen.
Diese Wirkung herauszurechnen ist aufschlussreich für die Einschätzung der Effekte von Maßnahmen, die die Verdienstmöglichkeiten verschiedener Familienmitglieder ähnlich verändern und daher keine wesentlichen Wirkungen auf die innerfamiliären Verhandlungspositionen haben. So könnten Beschäftigte durch temporäre Steuersenkungen oder Erhöhungen des allgemeinen Lohnniveaus durchaus zu einer – wenn auch moderaten – Erhöhung der Arbeitszeit bewegt werden, schlussfolgern die Autoren.