Der Ruhestand bedeutet nicht nur für die Betroffenen einen tiefen Einschnitt, sondern mitunter für die ganze Familie. Häufig berichten Ehefrauen von Depressionen, Kopfschmerzen oder Schlaflosigkeit, nachdem ihre Männer aus dem Arbeitsleben ausgeschieden sind. Dieses Phänomen, auch als „Retired Husband Syndrome“ (RHS) bekannt, ist vor allem in Gesellschaften mit traditioneller Rollenverteilung verbreitet – etwa in Japan. Dort erregte RHS zwar schon mediale Aufmerksamkeit, wurde aber wissenschaftlich bislang kaum untersucht.
Anekdotisch kennt man das Problem auch hierzulande: Plötzlich ist der Mann den ganzen Tag zu Hause, leidet unter fehlender Beschäftigung, nörgelt herum und geht der Frau im wahrsten Sinne des Wortes auf den Geist. Bislang hatte sie den Tag „für sich“, nun hat sie rund um die Uhr den Gatten an ihrer Seite. Aber führt dieser Umstand wirklich zu handfesten körperlichen und psychischen Problemen? Oder ist das vermehrte Auftreten von Depressionen und anderen Erkrankungen womöglich eine bloße Nebenwirkung des Alterns?
In einem aktuellen IZA-Diskussionspapier beleuchten die Ökonomen Marco Bertoni und Giorgio Brunello das Phänomen näher. Tatsächlich fanden sie anhand von detaillierten Daten zur familiären und gesundheitlichen Situation von älteren Japanern heraus, dass die Pensionierung des Mannes die seelische Gesundheit der Ehefrau verschlechtert – und das in erheblichem Ausmaß. Für ihre Analyse nutzten sie eine Änderung der Gesetzgebung: Seit 2006 sind Unternehmen in Japan verpflichtet, Arbeitnehmer über 60 Jahre bis zum Erreichen ihres vollen Rentenanspruchs weiterzubeschäftigen. Dadurch kam es zu einer durchschnittlichen Erhöhung des faktischen Renteneintrittsalters.
Durch einen Vergleich der Alterskohorten vor und nach der Reform konnten die Forscher einen kausalen Zusammenhang zwischen Renteneintritt und dem Auftreten von RHS-Symptomen klar belegen. Ein zusätzliches Ruhestandsjahr des Mannes erhöhte das RHS-Risiko bei der Frau je nach Berechnungsmethode um 5,8 bis 13,7 Prozentpunkte.
Die naheliegende Vermutung, berufstätige Ehefrauen kämen mit der Pensionierung ihres Partners besser zurecht als Hausfrauen, widerlegen die Autoren. Im Gegenteil erhöht die eigene Erwerbstätigkeit der Frau sogar die Wahrscheinlichkeit, an RHS zu erkranken. Die Forscher vermuten, dass berufstätige Frauen umso gestresster sind, wenn sie nach dem Job noch die zusätzlichen Wünsche des unausgelasteten Ehepartners befriedigen müssen.
Ähnliche Symptome – Depressionen, Kopfschmerzen, Schlaflosigkeit – treten übrigens auch beim Mann selbst auf. Allerdings lassen die untersuchten Daten keine Rückschlüsse darauf zu, inwieweit erst der verschlechterte Gesundheitszustand des Mannes ursächlich für das Auftreten von RHS bei der Ehefrau sein könnte.
Die Autoren leiten aus ihren Ergebnissen keine konkreten Politikvorschläge wie etwa eine Erhöhung des Renteneintrittsalters (für Männer) ab. Gleichwohl plädieren sie dafür, die ökonomische Diskussion nicht nur auf finanzielle Aspekte des Ruhestands zu fokussieren, sondern auch die psychischen Folgen des Ausscheidens aus dem Erwerbsleben stärker zu berücksichtigen – und zwar für beide Partner.