Zu den atypischen Beschäftigungsformen, die in den letzten zwei Jahrzehnten deutlichen Zuwachs verzeichnet haben, zählt die Soloselbstständigkeit. Was sich nach eigenbestimmtem Arbeiten ohne Vorgesetzte und Mitarbeiter anhört, hat auch erhebliche Schattenseiten: Geringere Einkünfte und mangelnde soziale Sicherung lassen darauf schließen, dass viele Beschäftigte den Schritt in die Soloselbstständigkeit nicht freiwillig gewählt haben.
Aber was sind die Gründe? Ein aktuelles IZA-Forschungspapier von Angelika Ganserer, Terry Gregory und Ulrich Zierahn deutet darauf hin, dass die Einführung von Mindestlöhnen eine Rolle gespielt hat. Die Studie nutzt den Umstand, dass in Deutschland zunächst nur in einzelnen Branchen ein Mindestlohn eingeführt wurde. So konnten die Forschenden – auf Basis umfangreicher Daten aus dem Mannheimer Unternehmenspanel (MUP), verknüpft mit den Integrierten Erwerbsbiografien des IAB (IEBS) – die Entwicklung in ähnlichen Branchen mit und ohne Mindestlohn vergleichen.
Zunahme auf Branchen mit Mindestlohn konzentriert
Insgesamt hat sich in Deutschland der Anteil der Soloselbstständigen an der Erwerbsbevölkerung zwischen 1992 und 2010 von 2,3 Prozent auf 4,9 Prozent mehr als verdoppelt. Wie die Abbildung veranschaulicht, zeigen sich dabei große Unterschiede sowohl zwischen den Branchen als auch zwischen Ost und West. Auffällig ist der ausgeprägte Trend zur Soloselbstständigkeit in Branchen mit Mindestlohn. Je nach Sektor und Region stieg der Anteil der Soloselbstständigen um 1,1 bis 8,5 Prozentpunkte – teils eine Versechsfachung gegenüber dem Zeitraum vor der Einführung des Mindestlohns.
Schlechtere Aussichten für Hochqualifizierte
Die Autoren erklären ihren Befund damit, dass aufgrund der gestiegenen Arbeitskosten die Nachfrage nach hochqualifizierten Fachkräften zurückging, da die Betriebe insgesamt weniger Personal einstellten. Der Einbruch war derart stark, dass selbst der Bedarf an Fachkräften zurückging, obwohl diese aufgrund ihres hohen Lohns gar nicht direkt vom Mindestlohn betroffen waren. Viele Hochqualifizierte suchten daher mangels Job- und Verdienstaussichten ihr Heil in der Soloselbstständigkeit.
Auf diese Weise drängte der Mindestlohn Fachkräfte in die Soloselbständigkeit, die ansonsten abhängige Beschäftigungsverhältnisse bevorzugt hätten – also eigentlich nicht unbedingt prädestiniert für die Gründung eines eigenen Unternehmens waren. Darauf deuten auch die Daten hin: So sanken die Einkommen von Soloselbstständigen im untersuchten Zeitraum vor allem bei denen, die sich erst nach Einführung des Mindestlohns selbstständig gemacht hatten, also im Vergleich zu vorher eher aus der Not heraus als aus unternehmerischem Kalkül.
Übertragbarkeit der Erkenntnisse
Inwieweit die Ergebnisse auch auf andere Branchen und Länder übertragbar sind, hängt von der jeweiligen Wirtschafts- und Arbeitsmarktlage ab, aber auch von der relativen Höhe des Mindestlohns: Die negativen Effekte treten primär in Ostdeutschland auf, wo der Mindestlohn, relativ zum vorherigen Lohnniveau, sehr hoch war. Entscheidend ist außerdem, ob Hoch- und Geringqualifizierte in der betreffenden Branche ähnliche Tätigkeiten ausüben, also leichter ersetzt werden können, und ob es Zugangshürden für die Selbstständigkeit (wie den deutschen Meisterzwang) gibt.