Angesichts der aktuellen Diskussionen in Politik und Medien mag das Ergebniss eines neuen IZA-Forschungspapiers von Kelsey J. O’Connor überraschend positiv erscheinen: Demnach hat die massive Zuwanderung nach Europa zwischen 1990 und 2019 das durchschnittliche Wohlbefinden in den Zielländern nicht verringert – und auch in den Herkunftsländern zeigt sich kein negativer Effekt. Im Gegenteil: Rechnet man den Zugewinn an Lebensqualität der Migrantinnen und Migranten selbst mit ein, ergibt sich sogar ein klarer Netto-Nutzen.
Analysiert wurden Daten aus 37 europäischen Ländern über einen Zeitraum von fast 40 Jahren. Das Ausmaß der Migration ist beachtlich: Europa verzeichnete in diesem Zeitraum rund 32 Millionen zusätzliche Einwanderer. Der Großteil kam aus osteuropäischen Ländern und zog in den Westen: Während der Westen netto etwa 30 Millionen Menschen aufnahm, verließen rund 12 Millionen dauerhaft den Osten.
Einwanderung verändert Europas Demografie
Interessanterweise stammten die meisten Zuwanderer aus anderen europäischen Ländern. Nur in Skandinavien sowie in Teilen Südeuropas (etwa Italien oder Spanien) waren Einwanderer häufiger aus Nicht-EU-Staaten. In den ost- und mitteleuropäischen Ländern hingegen kamen im Schnitt weniger als 20 Prozent der Migranten von außerhalb Europas.
Die Auswirkungen auf die Bevölkerungsstruktur sind deutlich: Die osteuropäischen Staaten verloren zusammen mehr als 24 Millionen Menschen – mehr als die heutige Bevölkerung der Niederlande. Gleichzeitig wuchs die Bevölkerung Südeuropas um fast 13 Millionen, wobei etwa 11 Millionen dieses Wachstums auf Einwanderung zurückzuführen sind.
Wohlbefinden als Maßstab – und nicht nur Wirtschaftsdaten
Statt sich auf rein ökonomische Kennzahlen wie Löhne oder Arbeitslosigkeit zu stützen, wählte O’Connor einen umfassenderen Indikator: Lebenszufriedenheit. Dieser subjektive Wert berücksichtigt sowohl wirtschaftliche als auch soziale und emotionale Aspekte des Lebens. Das Ergebnis: Der Anteil an Zugewanderten in einem Land hat keinen negativen Einfluss auf die durchschnittliche Lebenszufriedenheit der einheimischen Bevölkerung. Auch in den Herkunftsländern zeigt sich kein verlässlicher negativer Effekt – im Gegenteil: Dort könnte es durch Rücküberweisungen der Ausgewanderten sogar positive Auswirkungen geben.
Besonders bemerkenswert ist der Effekt für die Migrantinnen und Migranten selbst: Sie erleben laut Studie einen dauerhaften Anstieg der Lebenszufriedenheit um 0,4 Punkte auf einer Skala von 1 bis 10. Das entspricht von der Größenordnung her dem Wert, den ein Jobverlust umgekehrt an Minus verursacht. Monetär ließe sich dieser Zugewinn mit rund 30.000 Euro über fünf Jahre beziffern – bei längerem Aufenthalt noch mehr. Kaum überraschend: Menschen ziehen bevorzugt in Länder mit höherem Lebensstandard. Und über die Zeit passt sich ihre Zufriedenheit zunehmend dem Niveau der einheimischen Bevölkerung an.
Vielfalt bereichert – auch jenseits des Marktes
Die Analyse basiert auf Daten renommierter Quellen wie den Vereinten Nationen, der Weltbank und der European Values Study. Auch wenn es Unterschiede innerhalb der Bevölkerungsgruppen geben kann, betont O’Connor: Im Durchschnitt gibt es keine Hinweise darauf, dass Migration den Menschen vor Ort schadet – mögliche Belastungen würden durch Vorteile an anderer Stelle ausgeglichen.
Ein besonderer Mehrwert der Studie: Sie berücksichtigt nicht nur ökonomische Faktoren, sondern auch schwer messbare Aspekte wie sozialen Zusammenhalt, Sicherheitsgefühl oder das persönliche Erleben von kultureller Vielfalt. Denn: Migration kann das Leben auch jenseits von Marktmechanismen bereichern – etwa durch neue Perspektiven, Begegnungen oder vielfältigeres Angebot im Alltag.
Gleichwohl gibt der Autor zu bedenken, dass es sich um Durchschnittswerte handelt – und dass Migration zweifellos „Gewinner“ und „Verlierer“ produziere. Dass daher die subjektive Einschätzung vieler Menschen vom Gesamtergebnis der Studie abweichen kann, liegt auf der Hand. Ausgeschlossen ist auch nicht, dass sich die Entwicklung in den vergangenen fünf Jahren seit Ende des Studienzeitraums verändert hat.