In dieser Woche jährt sich der Fall der Berliner Mauer zum 25. Mal. Die damals herrschende wirtschaftliche Unsicherheit führte auch zu einem tiefen demografischen Einschnitt: Unmittelbar nach dem Mauerfall ging die Geburtenrate in Ostdeutschland um die Hälfte zurück – stärker als je zuvor in Friedenszeiten.
Welche Eltern entscheiden sich auch in unsicheren Zeiten für Kinder? Und was bedeutet das für die Kinder? Diesen Fragen ist IZA-Forscher Arnaud Chevalier gemeinsam mit Olivier Marie von der Universität Maastricht nachgegangen. Die Ökonomen werteten Bildungs- und Kriminalitätsdaten für zwischen August 1990 und 1993 in Ostdeutschland geborene Kinder aus. Zusätzlich nutzten sie Befragungen zur Zufriedenheit der Kinder mit den eigenen Eltern.
Das Ergebnis: Im Vergleich zu älteren Geburtsjahrgängen und gleichaltrigen Kindern aus Westdeutschland lag die Kriminalitätsrate bei den Kindern der „Mauerfall-Kohorte“ um mindestens 40 Prozent höher. Auch kamen sie bereits in jüngerem Alter mit dem Gesetz in Konflikt. Ihr Bildungserfolg – gemessen an Testergebnissen, Schulform und Sitzenbleiberquote – fällt deutlich geringer aus.
Um Rückschlüsse auf den familiären Einfluss zu ziehen, untersuchten die Autoren die Merkmale der Frauen, die sich im unmittelbaren Umfeld des Mauerfalls für Kinder entschieden. Diese waren im Durchschnitt jünger, weniger gebildet, häufiger alleinerziehend und seltener erwerbstätig als die Mütter früherer Jahrgänge.
Die Kinder selbst bewerteten ihre Beziehung zur Mutter und die Qualität der elterlichen Unterstützung eher negativ als ältere ostdeutsche oder im Westen geborene gleichaltrige Kinder. Auch neigten sie – ebenso wie ihre Mütter – zu überdurchschnittlich hoher Risikobereitschaft.
Dass das Verhalten der Kinder auf „traumatische“ Erlebnisse während der Schwangerschaft oder in den ersten Lebensjahren zurückgeht, schließen Chevalier und Marie aus. Denn die nach dem Mauerfall geborenen Kinder unterschieden sich in Bezug auf Risikobereitschaft und Bildungserfolg nicht nennenswert von ihren älteren Geschwistern.
So schlussfolgern die Autoren, dass sich die beobachteten Probleme primär auf die sozioökonomische Zusammensetzung der Alterskohorte zurückführen lassen – vereinfacht gesagt: auf den relativ hohen Anteil „bildungsferner“ Elternhäuser.
Der Politik empfehlen die Ökonomen daher, den Einsatz von Bildungsressourcen nicht nur an der Quantität (Jahrgangsgröße), sondern vor allem an der Qualität (Förderbedarf) der jeweiligen Kohorten festzumachen. Insbesondere bei der frühkindlichen Förderung gelte es anzusetzen, um problematischen Entwicklungen entgegenzuwirken.
Lesen Sie außerdem das Interview mit Arnaud Chevalier in der Bild am Sonntag vom 9. November 2014: Kriminell, vernachlässigt, ungeliebt: Studie enthüllt das traurige Schicksal der Wendekinder