Nachdem der Oberste Gerichtshof der USA im Juni 2022 das lange bestehende Recht auf Abtreibung auf Bundesebene gekippt hatte, verzeichneten US-Arbeitgeber, die Reisekostenerstattungen für Abtreibungen außerhalb ihres Bundesstaates ankündigten, einen Anstieg des Interesses von Arbeitsuchenden. Gleichzeitig mussten sie jedoch im Schnitt eine Verschlechterung der Mitarbeiterzufriedenheit hinnehmen. Zu diesem Ergebnis gelangt ein aktuelles IZA-Forschungspapier eines Autorenteams des Indeed Hiring Lab, der University of Southern California, der University of Maryland und des IZA.
Ausschlaggebend für die Entscheidung von Unternehmen, sich öffentlich gegen das Abtreibungsverbot zu stellen, waren dabei der Studie zufolge nicht altruistische Motive; vielmehr positionierten sich vor allem solche Betriebe mit öffentlichen Unterstützungszusagen für weibliche Beschäftigte, die mehr Frauen und mehr Anhänger der demokratischen Partei zu ihrer Belegschaft zählten. Die Positionierung und Ankündigung auch finanzieller Unterstützung wurde hier offenbar als öffentliche Demonstration von Unternehmenskultur genutzt – mit ambivalentem Ergebnis.
Höhere Attraktivität bei Jobsuchenden, Einbußen bei Mitarbeiterzufriedenheit
Zwar konnten die Betriebe eine gesteigerte Aufmerksamkeit für ihre Online-Stellenangebote verzeichnen: Gegenüber Unternehmen, die keine Unterstützung ankündigten, fielen die Zugriffszahlen um acht Prozent höher aus. Dabei konzentrierte sich das höhere Interesse auf stark demokratisch geprägte Bundesstaaten und auf typischerweise von Frauen nachgefragte Jobangebote.
Ebenfalls um acht Prozent sank allerdings die in Online-Bewertungen zum Ausdruck gebrachte Zufriedenheit der Beschäftigten mit dem Firmenmanagement – den Grund sieht die Untersuchung in der starken Kritik an der Positionierung des eigenen Betriebs in von Männern dominierten Berufsgruppen. Dass in den negativen Bewertungen der Begriff „woke“ besonders häufig verwendet wird, spricht für eine vermehrte Ablehnung der Unternehmenskultur.
Auffällig ist, dass diejenigen Unternehmen, die ihren weiblichen Beschäftigten gegenüber Unterstützung auch bei Abtreibungswünschen signalisierten, zugleich um vier Prozent höhere Löhne boten. Hier vermuten die Autorinnen und Autoren eine Reaktion auf die im Durchschnitt rückläufige Mitarbeiterzufriedenheit.
Im Rahmen der Untersuchung wurden für ausgewählte Betriebe mit öffentlich bekundeter Unterstützungszusage Daten zu Arbeitsuche, Arbeitszufriedenheit und Lohnniveau des Stellenportals Indeed und des Bewertungsportals Glassdoor ausgewertet. Die Analyse basiert auf 3 Milliarden Klicks von Arbeitsuchenden, 2,5 Millionen Stellenanzeigen mit Lohnangaben und 6,5 Millionen Unternehmensbewertungen.
Kausale Effekte ließen sich identifizieren, indem die Resultate mit denen für ähnliche Betriebe ohne Unterstützungszusage verglichen wurden, deren Stellenangebote im Verlauf derselben Online-Suche von Jobinteressentinnen und -interessenten aufgerufen wurden.
Positive und negative Effekte der Firmenpositionierung einkalkulieren
Verallgemeinert man die Ergebnisse der Analyse, so können Initiativen zur Schärfung der Unternehmenskultur offenbar deutlich positiv auf bestimmte Zielgruppen potenzieller neuer Beschäftigter (und die Identifikation von Teilen der vorhandenen Belegschaft) wirken. Insbesondere bei der Positionierung in aufgeladenen politischen Debatten sind aber auch ungünstige Wirkungen einzukalkulieren, falls die durchschnittliche Mitarbeiterzufriedenheit mangels Rückhalt für die gewählte Position zurückgeht. Denn nicht nur Jobsuchende, sondern auch die schon vorhandenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter reagieren auf die vom Unternehmen gewählte Form der Außendarstellung.