In der Finanzwelt sind Frauen auf den oberen Führungsebenen noch immer eine Seltenheit. Diskriminierung und männliche Seilschaften spielen eine Rolle, greifen aber als einzige Erklärung zu kurz. Denn schon im Bewerberpool sind Frauen aus verschiedenen Gründen unterrepräsentiert: Im Vergleich zu Männern studieren sie seltener Wirtschaftswissenschaften (erst recht nicht Makroökonomie oder Finanzwissenschaft), sind wettbewerbsscheuer, betreiben weniger effektives Selbstmarketing und stellen ihre Karriereambitionen häufiger zugunsten der Familie zurück.
Wie relevant diese möglichen Erklärungen sind, und inwieweit sich durch personalpolitische Maßnahmen wirksam gegensteuern lässt, bleibt in Wissenschaft und Praxis umstritten. Ein IZA-Forschungspapier von Laura Hospido, Luc Laeven und Ana Lamo liefert nun erstmals eine detaillierte Analyse der Karrierewege innerhalb der Europäischen Zentralbank. Die Autoren greifen dafür auf außergewöhnlich umfangreiche, anonymisierte Personaldaten der EZB aus den Jahren 2003 bis 2017 zurück.
Einkommensnachteile für Frauen, vor allem Mütter
Die Auswertung zeigt zunächst, dass die Gehälter von Männern und Frauen trotz vergleichbarer Einstiegsvoraussetzungen schon nach wenigen Jahren erkennbar auseinanderdriften. Insbesondere bei weiblichen Beschäftigten mit Kindern steigt die Gehaltskurve im Zeitverlauf weniger stark an als bei ihren männlichen Kollegen. Außerdem werden sie seltener befördert.
Diese Lücke schließt sich jedoch zusehends ab dem Jahr 2010, als die EZB begann, verschiedene Maßnahmen für mehr Vielfalt im Management einzuführen. Für den Zeitraum 2012-2017 zeigen die vertraulichen Personaldaten, dass Frauen sich immer noch seltener bewerben, jedoch häufiger für neu zu besetzende Führungspositionen ausgewählt werden. Unterm Strich ergibt sich mittlerweile für männliche und weibliche EZB-Beschäftigte die gleiche Wahrscheinlichkeit, bankintern aufzusteigen.
Beförderung nach Leistung, nicht nach Geschlecht
Dass es sich bei den weiblichen Beförderten überwiegend um „Quotenfrauen“ handeln könnte, halten die Autoren für wenig plausibel. Die stärker ansteigende Gehaltskurve nach der Beförderung spreche für eine Auswahl nach Leistung. Zudem gebe es keine Hinweise darauf, dass die Chancen für weibliche Kandidaten steigen, wenn mehr Frauen im Auswahlkomitee sitzen.
Zusammenfassend bewertet die Studie die Frauenförderung der EZB als äußerst effektiv. Verbleibende Geschlechterunterschiede seien primär darauf zurückzuführen, dass sich weibliche Beschäftigte seltener auf Chefposten bewerben. Hier könne die Personalpolitik noch konsequenter ansetzen, etwa in Form von Mentorenprogrammen, die sich bei der EZB bereits bewährt hätten.
Bis die Gleichstellung auch die oberste Führungsebene der europäischen Notenbanken erreicht, dürfte allerdings noch einige Zeit vergehen. Der 30-köpfige Erweiterte Rat der EZB ist aktuell wieder ausschließlich mit Männern besetzt.