Obwohl inzwischen die Mehrheit der Abiturienten und Hochschulabsolventen in Deutschland weiblich ist, bleiben Frauen in den sogenannten MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik), in denen die Jobchancen und Verdienstaussichten besonders hoch sind, nach wie vor unterrepräsentiert. Mit Initiativen wie dem Girls‘ Day oder Komm, mach MINT versuchen Politik und Wirtschaft, mehr Mädchen für Ausbildungsberufe und Studiengänge in diesen Bereichen zu begeistern.
Aber welche Faktoren beeinflussen eigentlich, für welches Fach sich Mädchen entscheiden und ob sie darin erfolgreich sind? Drei IZA Discussion Papers untersuchen die Effekte von Leistungsdruck, Klassenzusammensetzung und kulturellen Unterschieden auf die Bildungsentscheidungen von Mädchen. Ein viertes Discussion Paper beschäftigt sich umgekehrt mit der Frage, inwieweit Töchter bei ihren Vätern einen Wandel der Rollenbilder bewirken.
Lassen sich Frauen von schlechten Noten leichter entmutigen?
Ein Erklärungsansatz für die Geschlechterunterschiede bei der Wahl des Studienfachs besteht darin, dass Frauen sensibler auf schlechte Noten reagieren und deshalb anspruchsvolle Studiengänge meiden oder früher abbrechen, um in „leichtere“ Studiengänge zu wechseln. IZA-Fellow Adriana D. Kugler stellt diesen Ansatz gemeinsam mit Catherine H. Tinsley und Olga Ukhaneva auf den Prüfstand. Für ihre Studie analysierten die drei Ökonominnen an der Georgetown University umfangreiche Daten einer großen US-Privatuniversität über den Zeitraum 2009 bis 2016.
In der Gesamtschau aller Studienfächer widerlegen die Ergebnisse den Erklärungsansatz: Die Wahrscheinlichkeit, aufgrund von schlechten Noten den Studiengang zu wechseln, ist bei Frauen und Männern gleich hoch. Ein Blick auf die männerdominierten MINT-Fächer zeigt jedoch, dass Frauen hier tatsächlich sensibler reagierten und ihr Studium als Reaktion auf schlechte Ergebnisse häufiger abbrachen als Männer. Daraus schließen die Autorinnen, dass der Notenfrust erst in Kombination mit einem männlich dominierten Studienumfeld zu einer höheren Sensibilität bei Frauen führt.
Je weniger männliche Mitschüler, desto mehr Mädchen wählen MINT-Fächer
Solche Peer-Effekte spielen bereits in der Schule eine wichtige Rolle, wie IZA-Fellow Pål Schøne in seiner gemeinsam mit Kristine von Simson und Marte Strøm verfassten Studie zeigt. Das Forscherteam des norwegischen Instituts für Sozialforschung untersuchte den Einfluss der Geschlechterzusammensetzung in Klassen der Unter- und Mittelstufe auf die Kurswahl und die schulischen Leistungen in der Oberstufe.
Demnach entscheiden sich Mädchen häufiger für MINT-Fächer, je weniger männliche Mitschüler sie haben. „Weniger männliche Konkurrenz“ scheidet als Erklärung jedoch aus, wie die Autoren anhand von Umfrageergebnissen feststellen. Vielmehr legen die Erkenntnisse nahe, dass ein insgesamt verbessertes Lernumfeld (gemessen etwa an Pünktlichkeit, Mitarbeit und allgemeinem Wohlbefinden) dazu beiträgt, dass mehr Mädchen MINT-Fächer wählen und darin auch verhältnismäßig gut abschneiden.
Wie prägend ist das in der Familie vermittelte Rollenbild?
Viele Kinder werden schon in jungen Jahren mit verschiedenen Geschlechterstereotypen konfrontiert, entweder allgemeiner Natur (z.B. „Frauen brauchen keine Karriere zu machen“) oder auf Interessen und Fähigkeiten bezogen (z.B. „Technik ist nichts für Mädchen“). Inwieweit sich diese durch die Familie vermittelten Rollenbilder auf die Fächerwahl und das Abschneiden in MINT-Disziplinen auswirken, untersuchen Natalia Nollenberger (IE University) und Núria Rodríguez-Planas (CUNY, Queens College & IZA) in ihrer Studie.
Dazu nutzten sie PISA-Daten von rund 12.000 Zuwanderern der zweiten Generation in neun europäischen Ländern. Auf Basis des Global Gender Gap Index beurteilten sie, wie es um die Gleichberechtigung von Frauen in den insgesamt 35 Herkunftsländern bestellt ist. So konnten sie zeigen, dass Mädchen häufiger MINT-Fächer belegen und darin besser abschneiden, je weiter in den jeweiligen Herkunftsländern ihrer Eltern die Gleichstellung der Geschlechter vorangeschritten ist. Ausschlaggebend scheinen hier weniger bildungsspezifische Geschlechternormen zu sein als vielmehr die allgemeine politische und ökonomische Gleichberechtigung von Frauen.
Wie Töchter die Einstellungen ihrer Väter verändern
Unter Vätern von Töchtern sind die traditionellen Geschlechterbilder weniger stark verbreitet als unter Vätern, die ausschließlich Söhne haben, so das Ergebnis einer Studie von IZA-Fellow Joan Costa-Font mit Mireia Borrell-Porta und Julia Philipp. Das Forscherteam der London School of Economics fand heraus, dass Väter mit einer um fünf Prozentpunkte höheren Wahrscheinlichkeit der Aussage „Männer verdienen das Geld und Frauen machen den Haushalt“ widersprechen, wenn sie Töchter im schulpflichtigen Alter haben.