Der heutige Tag markiert den 25. Jahrestag der deutschen Wiedervereinigung. In Ostdeutschland hatte der Übergang von der sozialistischen Planwirtschaft zur freien Marktwirtschaft tiefgreifende Folgen für den Arbeitsmarkt und beeinflusste alle Aspekte des täglichen Lebens. Doch auch die „alte“ Bundesrepublik musste sich in vieler Hinsicht anpassen. Das IZA hat den Wiedervereinigungsprozess mit zahlreichen Studien, Gutachten und Politikempfehlungen konstruktiv begleitet.
Die demografischen Konsequenzen zählen zu den am meisten unterschätzten Aspekten der deutschen Wiedervereinigung. Dabei waren die Auswirkungen enorm: In den ersten drei Jahren nach dem Zusammenbruch des sozialistischen Regimes sank in Ostdeutschland die Geburtenrate um 50% – der stärkste und schnellste Rückgang von Geburtenraten, der jemals in Friedenszeiten stattgefunden hat. Eine aktuelle Studie von Arnaud Chevalier und Olivier Marie, die in Kürze im Journal of Political Economy erscheinen wird, beschäftigt sich mit den Auswirkungen des „Geburtenschocks“ nach der Wiedervereinigung auf das Risikoverhalten und die Kriminalitätsentwicklung.
Ostdeutsche Frauen, die kurz nach der „Wende“ von 1989 ein Kind zur Welt brachten, waren den Ergebnissen der Untersuchung zufolge im Durchschnitt jünger, weniger gebildet und öfter unverheiratet als Vergleichsgruppen. In der Wissenschaft werden diese Merkmale mit einer höheren Wahrscheinlichkeit geringerer „elterlicher Fähigkeiten“ assoziiert, die dann wiederum häufig zu negativen sozioökonomischen Entwicklungen der Kinder beitragen. In ihrer Analyse zeigen die Forscher, dass „Children of the Wall“ (Kinder, die zwischen 1991 und 1993 in Ostdeutschland geboren wurden), mit deutlich höherer Wahrscheinlichkeit im späteren Leben straffällig geworden sind. Statistisch gesehen wurden sie 50% häufiger von der Polizei festgenommen als vergleichbare Altersgenossen. Dies erklären die Forscher mit der Tatsache, dass Personen, die kurz nach dem Fall der Mauer Eltern wurden, wesentlich seltener in der Lage waren eine enge persönliche Bindung zu ihren Kindern aufzubauen. Zwar schnitten die „Children of the Wall“ im Alter von 17 Jahren in Bezug auf ihr allgemeines Bildungsniveau nicht schlechter ab als andere Jugendliche, doch verfügten sie in vielen Fällen über keine ausgeprägte emotionale Bindung zu ihren Eltern.
Die Studie betrachtet darüber hinaus das Risikoverhalten junger Eltern aus der Wendezeit, das sowohl die Entscheidung zur Elternschaft, als auch das zukünftige Kriminalitätsverhalten der Kinder beeinflusst hat. Frauen, die sich nach dem Zusammenbruch der DDR dazu entschieden haben Kinder zu bekommen, waren demnach im Vergleich risikobereiter eingestellt. Dieses Risikoverhalten wurde offenbar in vielen Fällen auf die Kinder übertragen. Damit bestätigt die neue Studie den Forschungsstand zur generationenübergreifenden Übertragung von Risikoeinstellungen.
Jenseits von demografischen Themen hat sich das IZA-Netzwerk insbesondere auf die Folgen der deutschen Einheit für den Arbeitsmarkt konzentriert. Zum zehnjährigen Jahrestag der Wiedervereinigung unterzogen Holger Bonin und IZA-Direktor Klaus F. Zimmermann die Arbeitsmarktpolitik und Ausbildungsprogramme des wiedervereinigten Deutschlands einer kritischen Analyse. Im Jahr 2002 widmeten sich Paul Frijters, John P. Haisken-DeNew und Michael A. Shields der Frage, welche Erwartungen die Ostdeutschen an den gesamtdeutschen Sozialstaat hatten und ob diese erfüllt wurden. Sie belegten, in welchem Maß die Bewohner der neuen Länder den Umfang gesamtdeutscher Sozialleistungen zunächst überschätzt hatten. Axel Heitmueller und Kostas G. Mavromaras verglichen die Lohnentwicklung im öffentlichen und privaten Sektor und stellten fest, dass sich die Löhne im öffentlichen Sektor recht schnell anglichen, während die Lohnunterschiede in der Privatwirtschaft deutlich länger bestehen blieben. Im Jahr 2006 machten Dennis J. Snower und Christian Merkl in einer kritischen Einschätzung des ostdeutschen Arbeitsmarkts darauf aufmerksam, dass manche Anpassungsprobleme von verschiedenen Arbeitsmarktinstitutionen eher noch verschärft denn gelindert worden sind.
Die Frage nach der Veränderungen in der Lebenszufriedenheit nach der Wiedervereinigung wurde von der IZA-Forschungsgemeinschaft gleich mehrfach untersucht. Eine Studie von Richard A. Easterlin und Anke C. Zimmermann lieferte detaillierte Ursachen über das Wohlbefinden von verschiedenen Bevölkerungsgruppen in Ost- und Westdeutschland. Unterschiede in der Zufriedenheit mit der Lebensqualität zwischen Ost und West bestehen bis heute, wie eine Untersuchung von Christian Pfeifer und Inna Petrunyk aus dem Jahr 2015 zeigt: Demnach ist die Zufriedenheit mit der Lebensqualität in Ostdeutschland im Durchschnitt nach wie vor geringer als in Westdeutschland. Allerdings verringert sich diese Ost-West Kluft in den jüngeren Geburtenjahrgängen immer weiter.