Migranten unterscheiden sich häufig von der Gesamtbevölkerung ihres Heimatlandes, vor allem bezüglich des Alters und der Ausbildung. Studien belegen diesen Unterschied für eine Reihe von Ländern und erforschen deren Ursachen. Bisher ist jedoch unklar, ob und für wen dieser Unterschied – von Ökonomen oft als Selektion bezeichnet – wirklich ins Gewicht fällt.
Spielt es für die Herkunfts- und Zielländer wirklich eine Rolle, wer auswandert und wer im Herkunftsland zurückbleibt? In einer neuen Studie gehen die IZA-Migrationsforscher Costanza Biavaschi und Benjamin Elsner dieser Frage nach, indem sie die Auswirkungen selektiver Migration auf das Pro-Kopf Einkommen in den Herkunfts- und Zielländern schätzen. In einer Simulationsstudie vergleichen die Autoren das Pro-Kopf Einkommen unter der gegenwärtigen selektiven Migration mit einem hypothetischen Szenario, in welchem die Migranten die gleichen demografischen Eigenschaften wie die Gesamtbevölkerung des Herkunftslandes aufweisen. In beiden Szenarien ist die Anzahl der Migranten gleich, so dass der gesamtwirtschaftliche Effekt vollständig den unterschiedlichen Charakteristika der Migranten zugeschrieben werden kann.
Die Autoren untersuchen diesen Effekt anhand zweier großer Auswanderungswellen: der Migration aus Norwegen in die USA Ende des 19. Jahrhunderts und der gegenwärtigen Migrationswelle aus Mexiko in die USA. Basierend auf Individualdaten, die vor der Auswanderung erhoben wurden, quantifizieren sie zunächst die Richtung und das Ausmaß der Selektion.
Verglichen mit der Gesamtbevölkerung haben norwegische Auswanderer ein höheres Einkommenspotential. Sie sind also positiv selektiert, während mexikanische Auswanderer negativ selektiert sind, also ein geringeres Einkommenspotential als der mexikanische Durchschnitt aufweisen.
Der gesamtwirtschaftliche Einfluss der einzelnen Migrationsszenarien variiert deutlich zwischen Herkunfts- und Zielländern. Für die USA ergeben sich keine signifikanten Effekte. Die zehn Millionen mexikanischen Einwanderer sind derart stark am unteren Ende der amerikanischen Einkommensverteilung konzentriert, dass selbst eine deutlich positivere Selektion auf aggregierter Ebene nicht ins Gewicht fällt. Anders ist es in den Herkunftsländern. Aufgrund der positiven Selektion der Auswanderer ist das Pro-Kopf Einkommen 1880 in Norwegen um 0.3 Prozent geringer, während das Pro-Kopf-Einkommen in Mexiko aufgrund der negativen Selektion um ein Prozent höher ist.
Ein Unterschied von einem Prozent mag zunächst nicht besonders groß erscheinen. Die Autoren zeigen jedoch, dass dieser Unterschied genauso groß ist, wie der Einkommensunterschied zwischen einem Szenario ohne Migration und dem gegenwärtigen Ausmaß an Migration. Die Frage, wer migriert, ist also genauso wichtig wie die Frage, wie viele migrieren.
Die Ergebnisse zeigen, dass die Selektion von Migranten nur dann ins Gewicht fällt, wenn die Zahl der Migranten im Vergleich zur Bevölkerung der Herkunfts- und Zielländer groß genug ist. Zudem müssen sich Migranten und Nicht-Migranten in ihrem Einkommenspotential stark genug unterscheiden. Beide Bedingungen erklären, warum der Effekt in Mexiko groß ist, während er in Norwegen relativ gering ausfällt.