Bei der Diskussion um Mindestlöhne stehen meist die Einkommens- und Beschäftigungseffekte im Vordergrund. Nicht minder relevant sind jedoch die Auswirkungen von Mindestlohnerhöhungen auf individuelle Bildungsentscheidungen, wie ein aktuelles IZA-Forschungspapier von Diana Alessandrini und Joniada Milla zeigt. Die Forscherinnen betrachten die Einschreibungsquoten an Hochschulen und stellen bei höheren Mindestlöhnen eine Verschiebung von akademischer zu berufspraktischer Ausbildung fest.
Ähnlich wie in den USA gliedert sich das kanadische Hochschulsystem in akademisch geprägte, oft mit hohen Studiengebühren verbundene Universitäten und die kostengünstigeren Community Colleges mit Schwerpunkt auf praxisorientierten Bildungsabschlüssen. Da es in Kanada besonders häufig zu regionalen Anpassungen des Mindestlohns kommt, konnten die Ökonominnen die Effekte von insgesamt 136 Mindestlohnerhöhungen auf die eingeschlagenen Bildungswege messen.
Geringere Bildungsmobilität
Der Analyse zufolge führt eine Anhebung des Mindestlohn um zehn Prozent dazu, dass die Einschreibungen an Universitäten um fünf Prozent zurückgehen, während sie an Community Colleges um sechs Prozent steigen. Insbesondere junge Menschen aus einkommensschwachen Elternhäusern mit geringerem Bildungsstand entscheiden sich bei höherem Mindestlohn häufiger gegen ein akademisches Studium, was die Bildungsungleichheit weiter verschärfen könnte.
Dass die Community Colleges zugleich mehr Zulauf verzeichnen, ist primär einer größeren Anzahl älterer Studierender geschuldet. Nach Einschätzung der Autorinnen führt der wachsende Konkurrenzdruck am unteren Ende der Lohnskala dazu, dass die Studienabbruchquoten sinken und mehr Erwerbstätige ans College zurückkehren, um ihre Arbeitsmarktchancen durch einen zusätzlichen berufspraktischen Abschluss zu verbessern.
Sinkende Bildungsrenditen
Die Erkenntnisse aus Kanada sind nicht unmittelbar auf Länder mit anderem Ausbildungssystem übertragbar, doch zeigen sich gewisse Parallelen durchaus zu Beobachtungen aus Deutschland. In einer früheren Studie hatten Terry Gregory und Ulrich Zierahn die langfristigen Mindestlohneffekte im Dachdeckergewerbe untersucht. Bei einem vergleichsweise hohen Mindestlohn stiegen die Verdienstmöglichkeiten von Gering- und Mittelqualifizierten, allerdings auf Kosten der Löhne von Hochqualifizierten. Die Folge waren eine verringerte Bildungsrendite sowie weniger hochqualifizierte Berufseinsteiger, was laut Studie den von der Branche beklagten Fachkräftemangel mitverursacht haben könnte (mehr dazu in einem Ökonomenstimme-Gastbeitrag).