Die Beschäftigungswirkungen von Mindestlöhnen zählen zu den meisterforschten und zugleich umstrittensten Themen der Arbeitsmarktökonomik. Für die empirische Forschung besteht die Herausforderung darin, eine belastbare Aussage darüber zu treffen, wie sich die Beschäftigung ohne die Einführung oder Erhöhung eines Mindestlohns entwickelt hätte.
Dazu bedarf es einer „kontrafaktischen“ Vergleichsgruppe von Arbeitsmarktteilnehmern, die nicht den höheren Mindestlohn erhalten. Diese ist jedoch nicht leicht zu spezifizieren, da die individuelle Arbeitsmarktsituation von einer Vielzahl von Faktoren wie Arbeitszeitpräferenzen, Lohnvorstellungen, Familienstruktur und demografischen Merkmalen abhängt. Mit anderen Worten: Es ist schwer zu belegen, dass man nicht Äpfel mit Birnen vergleicht.
Ein aktuelles IZA-Forschungspapier von Ernest Boffy-Ramirez umschifft dieses Problem, indem Individuen „mit sich selbst“ verglichen werden. Anhand von Daten des Current Population Survey aus den Jahren 1990 bis 2017 betrachtet die Studie den Beschäftigungsstatus von Einzelpersonen in einem Zeitfenster von vier Monaten unmittelbar vor und nach einer Mindestlohnanpassung im jeweiligen US-Bundesstaat.
Auf diese Weise lassen sich einerseits diverse individuelle Merkmale berücksichtigen, die die Reaktion auf den Mindestlohn beeinflussen könnten – etwa die Bereitschaft, den Wohnort zu wechseln oder die Zahl der Arbeitsstunden anzupassen. Durch das kurze Zeitfenster ist andererseits auszuschließen, dass sich längerfristige gesamtwirtschaftliche Trends auf die Ergebnisse auswirken.
Aufgrund des großen Stichprobenumfangs von Hundertausenden Individuen kann Boffy-Ramirez zudem seine Analyse auf die Arbeitsmarktgruppen fokussieren, die von Mindestlohnanpassungen am stärksten betroffen sind – Jugendliche, junge Erwachsende und Geringqualifizierte.
Die Ergebnisse lassen sich wie folgt zusammenfassen:
- Erstens gibt es kaum Hinweise auf einen Anstieg der Arbeitslosigkeit unmittelbar nach einer Erhöhung des Mindestlohns.
- Zweitens bestätigt sich nicht, dass Vollzeit-Arbeitsplätze bei höherem Mindestlohn vermehrt durch Teilzeit-Beschäftigung ersetzt würden.
- Drittens kommt es unmittelbar nach einer Erhöhung des Mindestlohns zu einem Rückgang der Erwerbsbeteiligung, insbesondere bei 20- bis 24-Jährigen, Zuwanderern und Geringqualifizierten.
Laut Boffy-Ramirez könnte der vermehrte Ausstieg aus dem Arbeitsmarkt erklären, warum die Arbeitslosigkeit infolge des höheren Mindestlohns nicht steigt.
Einen einordnenden Überblick über den Stand der internationalen Forschung zu den Beschäftigungseffekten von Mindestlöhnen bietet der kürzlich aktualisierte Artikel von David Neumark für die IZA World of Labor.