In weiten Teilen Europas ist der Einwandereranteil an der Gesamtbevölkerung in den letzten Jahrzehnten stark angestiegen. Einerseits gilt Zuwanderung für die Zukunftsfähigkeit der Wirtschaft und der Sozialsysteme als unverzichtbar. Andererseits wird die zunehmende Bevölkerungsvielfalt mitunter als Bedrohung für den gesellschaftlichen Zusammenhalt wahrgenommen.
Ein aktuelles IZA-Forschungspapier von Alberto Alesina, Elie Murard und Hillel Rapoport liefert empirische Belege dafür, dass mit vermehrter Zuwanderung auch ein Wandel in den Einstellungen zu Umverteilungsfragen und der Rolle des Sozialstaats einhergeht.
Anhand von Zensusdaten und amtlichen Statistiken bilden die Autoren zunächst den regionalen Zuwandereranteil in 16 europäischen Ländern ab. Die Grafik zeigt erhebliche Unterschiede in den betrachteten 140 Regionen mit Anteilen von rund zwei bis über 42 Prozent:
Aus Umfragedaten des European Social Survey ermitteln die Forscher regionale Unterschiede in den Einstellungen der Menschen zu Umverteilungsfragen. So wird in der regelmäßigen Erhebung beispielsweise abgefragt, welche Rolle dem Sozialstaat bei der Verringerung von Einkommensunterschieden und der Bereitstellung von Arbeitslosenunterstützung, Alterssicherung und Kinderbetreuung zugeschrieben wird. Zudem sollten die Befragten angeben, inwieweit sie der Meinung sind, dass Sozialleistungen die Wirtschaft belasten oder zu „Faulheit“ animieren. Auch hier gibt es deutliche regionale Unterschiede, etwa ein klar erkennbares Ost-West-Gefälle in Deutschland:
Die Verknüpfung beider Datensätze zeigt, dass die Unterstützung für staatliche Umverteilungsaufgaben schwindet, je stärker der Migrantenanteil in der jeweiligen Region zunimmt. Dieser Effekt ist besonders ausgeprägt bei Mitte-Rechts-Wählern in Ländern mit umfangreichen Sozialsystemen und in Regionen mit ausgeprägter Wohnsegregation zwischen Einwanderern und Einheimischen. Verstärkt wirkt der Effekt zudem durch geringqualifizierte Zuwanderung und größere kulturelle Distanz zu Einheimischen.
Zahlreiche mögliche Störfaktoren sind in der Analyse berücksichtigt. So können die Autoren ausschließen, dass die Ergebnisse etwa dadurch beeinflusst werden, dass Zuwanderung vor allem in Regionen mit großzügigem Sozialsystem stattfindet oder dass Einheimische infolge vermehrter Zuwanderung aus diesen Regionen wegziehen.
Zu den genauen Motiven für den beobachteten Einstellungswandel lassen die Daten allerdings keine Rückschlüsse zu. Für die Autoren deutet einiges darauf hin, dass die Bereitschaft zur Solidarität häufig an die eigene „Gruppenzugehörigkeit“ geknüpft sei. Denkbar sei auch, dass Zuwanderern eine relativ hohe Abhängigkeit von steuerfinanzierten Leistungen unterstellt würde. Die Ergebnisse sprechen jedoch dagegen, dass Immigranten primär als Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt wahrgenommen werden und somit Abstiegsängste schüren – denn in dem Fall sollte die Unterstützung für sozialstaatliche Absicherung eher zunehmen.