Die Corona-Pandemie zwingt Regierungen weltweit zu einer schwierigen Abwägung zwischen dem Schutz von Grundrechten und der öffentlichen Gesundheit. Dieser Zwiespalt zeigt sich auch bei der Durchführung demokratischer Wahlen. Denn einerseits zählt das Wahlrecht zu den wichtigsten politischen Grundrechten. Andererseits können die Menschenansammlungen beim Urnengang selbst, aber auch bei Wahlkampfveranstaltungen und Wahlparties, die Infektionen und damit verbundene Todesfälle weiter in die Höhe treiben.
Da reine Briefwahlen oder Online-Abstimmungen bislang an rechtlichen und praktischen Hürden scheitern, haben allein in den ersten 18 Monaten der Corona-Pandemie rund 80 Länder ihre nationalen oder regionalen Wahlen verschoben. Solche Maßnahmen sind oft umstritten, auch weil es an belastbaren Daten als plausible Entscheidungsgrundlage fehlt.
Volksabstimmung in Italien als Quasi-Experiment
Diese Lücke wollen Marco Mello und Giuseppe Moscelli mit einem aktuellen IZA-Forschungspapier füllen, in dem sie die Auswirkungen der Wahlbeteiligung auf die Ausbreitung des Coronavirus untersuchen. Die Studie nutzt eine Besonderheit der landesweiten Volksabstimmung in Italien im September 2020: Da die Abstimmung in Teilen des Landes mit Regionalwahlen kombiniert war, gab es ungewöhnlich große regionale Unterschiede bei der Wahlbeteiligung, anhand der die Forscher den Einfluss auf das Infektionsgeschehen berechnen konnten.
Der Analyse zufolge kam es für jeden zusätzlichen Prozentpunkt an Wahlbeteiligung zu einem Anstieg der Sieben-Tage-Inzidenz um 1,1 Prozent. Eine hohe Wahlbeteiligung kann das Infektionsgeschehen also stark befeuern, gerade wenn die Wahlen während einer Hochphase der Pandemie abgehalten werden.
Vermeidung von Neuwahlen rettete Menschenleben
Auf Basis dieses Befunds schätzen die Autoren außerdem die Gesundheitskosten, die angefallen wären, wenn es in Italien nach der Regierungskrise Anfang 2021 zu Neuwahlen inmitten der dritten Corona-Welle gekommen wäre. Demnach rettete die Einigung auf eine Regierung der nationalen Einheit etwa 23.000 Menschen das Leben und sparte Krankenhauskosten in Höhe von rund 362 Millionen Euro.
Natürlich lassen sich die Zahlen nicht unmittelbar auf andere Länder oder künftige Wahlen übertragen. Doch in weiten Teilen der Welt bleibt angesichts geringer Impfquoten die Frage nach einer möglichen Verschiebung von Wahlen auch mit Blick auf die nächste Pandemie-Welle akut. Die Studienautoren plädieren dafür, vor einer solchen Entscheidung eine fundierte Kosten-Nutzen-Analyse vorzulegen und dabei die zu erwartende Wahlbeteiligung einzubeziehen.